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Titelthema
nicht zurückgreifen: Karl-Heinz
Tritschler war 1989 Schiedsrichter
des Endspiels im Europapokal der
Landesmeister. 1991 beendete er
seine Laufbahn. Trotzdem weiß
auch er natürlich, wie viel High-
Tech heutzutage unter den Trikots
der Bundesliga-Schiedsrichter
steckt. Und auch, dass es – gerade
im Gebrauch des Headsets – große
Unterschiede gibt: „Bei manchen
wird nur das Allerwichtigste über
den Kanal besprochen, bei anderen
deutlich mehr“, weiß Tritschler.
Mike Pickel nickt. Und wie ist es
in seinem Team? „Ach, ich glaube,
wir liegen da ziemlich im Durch-
schnitt.“
Vom Allrounder
zum Spezialisten
Das Headset kennengelernt hat
Mike Pickel erst in seiner zwei-
ten Karriere – als spezialisierter
Assistent. Im Jahr 2000 war er in
die 2. Bundesliga aufgestiegen,
als Schiedsrichter wohlgemerkt.
Nach einigen Jahren war er sicher,
dass die Karriere als Assistent
ihm bessere Perspektiven bieten
würde. „Es war klar, dass als
Schiedsrichter für mich in der
2.
2. Bundesliga Schluss sein würde.
Weil ich in internationalen Spielen
mitwirken wollte, war der Weg
über die Assistenten-Laufbahn die
logische Wahl.“ Bereut hat er die
Entscheidung nicht.
Und auch beim DFB ist man voll
des Lobes: „Mike Pickel ist ein
absoluter Fachmann. Spezialisierte
Assistenten wie er erreichen noch
einmal einen höheren Grad an
Professionalität als die soge-
nannten Allrounder“, sagt Rainer
Werthmann, in der DFB-Schieds-
richter-Kommission Elite zuständig
für die Assistenten (vollständiges
Interview ab Seite 8). „Das ist aber
auch völlig normal: Ein junger
Zweitliga-Schiedsrichter, der
zusätzlich in der Bundesliga winkt,
will normalerweise erst einmal
selbst als Schiedsrichter weiter-
kommen, bevor er eine Karriere als
Assistent macht.“
Mike Pickel lebt das Assisten-
ten-Dasein. Er ist die personifi-
zierte Akribie. Er schreibt sich
Szenen auf, die ihn im Spiel
beschäftigen, schaut sich nachher
die gesamte Begegnung an und
sagt von sich selbst: „Ich bin
extrem selbstkritisch. Auch wenn
für den Beobachter die Leistung in
Ordnung war, will ich immer noch
ein paar Prozent mehr rausholen.“
Rainer Werthmann sagt, solche
Art von Akribie erkenne man oft
an Kleinigkeiten: „Ein Beispiel ist
die Flaggen-Technik. Die Art und
Weise, wie der Assistent Signale
gibt, wirkt bei den Spezialisten
immer ein Stück weit exakter und
überzeugender.“
Zwei Tore
aberkannt
Zurück in Frankfurt. Eine Drei-
viertelstunde vor dem Anpfiff ist
das Team in der entscheidenden
Konzentrationsphase. Jetzt wird
nicht mehr gestört. Man wünscht
ein gutes Spiel und lässt die Un-
parteiischen allein. Die Kabinentür
schließt sich. Aufwärmen, letzte
Absprachen, dann geht es los:
Wolfgang Stark pfeift an. Mike
Pickel steht mit seiner Fahne auf
der Seite der Trainerbänke. Die Ein-
tracht legt los wie die Feuerwehr,
erspielt sich in den ersten zehn
Minuten schon drei hochkarätige
Chancen, geht kurze Zeit später
mit 1:0 in Führung. Die Hymne
erklingt, die Fans toben, die Stim-
mung im Stadion ist großartig.
Nach einer Viertelstunde ertönt
abermals die „Leichte Kavallerie“
von Franz von Suppé, die Eintracht
Frankfurt als Torhymne dient.
Doch die Fans haben sich zu früh
gefreut: Das 2:0 ist irregulär. Der
Ball war zuvor im Seitenaus, Mike
Pickel hatte die Fahne gehoben.
Eine richtige Entscheidung, die den
Perfektionisten Pickel später aber
trotzdem ärgern wird. „Das hat zu
lange gedauert“, sagt er nach dem
Spiel.
Eine weitere Viertelstunde später
jubeln die Schalker. Doch auch sie
freuen sich zu früh, auch diesmal
hat Mike Pickel Einwände, auch
diesmal liegt er richtig. Klaas-Jan
Huntelaar steht beim vermeint-
Gleich geht’s los: Das Schiedsrichter-Team um Wolfgang Stark ist bereit.
Trotz High-Tech: Die Spielnotizkarte wird auch in der Bundes-
liga immer noch von Hand beschriftet.