S C H I E D S R I C H T E R -Z E I T U N G 6 / 2 0 1 6
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Akribie
Anspannung vor
jedem Spiel
Mike Pickel ist erst 41, und trotz-
dem ist er der Rekord-Assistent
im deutschen Profifußball. Ein
Urgestein. Kein anderer aus
seiner Zunft hat mehr Einsätze.
Pickel war bei der Weltmeister-
schaft 2010 dabei und bei der
Europameisterschaft 2012. Er hat
beim DFB-Pokalfinale assistiert
und war auch auf dem Platz, als
Fans von Fortuna Düsseldorf noch
vor Abpfiff des Relegationsspiels
gegen Hertha BSC den Platz
stürmten.
Gerade kommt er aus London.
Europa-League-Qualifikation,
Westham gegen Astra. Heute
wird er wieder in Deutschlands
höchster Spielklasse an der Linie
stehen. In Frankfurt, dort, wo Block
40 leer bleibt, weil die Fans in der
zurückliegenden Saison zu oft
Pyrotechnik abgebrannt haben.
Für Mike Pickel ein Spiel wie jedes
andere, und trotzdem sagt er nach
all‘ den Jahren und nach all‘ den
Spielen: „Ich bin vor jeder Begeg-
nung aufgeregt.“
Diese Anspannung, erklärt Pickel,
brauche er aber auch. „Wer denkt,
dass er ein Bundesliga-Spiel nur
mit seiner Routine ‚runterwinken‘
kann, wird unweigerlich Fehler
machen. Natürlich hilft einem die
Erfahrung, gerade dann, wenn das
Bauchgefühl bei einer Entschei-
dung den letzten Ausschlag gibt.
Trotzdem muss man jederzeit hoch
konzentriert sein.“
Beim Schiedsrichter-Team um
Wolfgang Stark kann man die
Konzentration schon während
der Platzbegehung bei jedem
Einzelnen spüren. Nichtsdesto-
weniger wird zwei Stunden vor
dem Anpfiff auch noch das eine
oder andere Mal geflachst. Mike
Pickel kann nicht widerstehen,
als ihm ein einsamer Ball in die
Quere rollt, und er versenkt ihn
ziemlich gefühlvoll im leeren Tor.
Einige Zuschauer spenden höflich
Beifall – ein seltenes Gefühl für
einen Schiedsrichter.
High-Tech für
das Team
Nach der Absprache wird die
Torlinien-Technik überprüft. Jedes
einzelne Mitglied des Teams hat
einen Empfänger am Handgelenk,
auf dem – wenn der Ball vollstän-
dig die Torlinie überschritten hat –
„Goal“ aufblinkt. Pickel steht direkt
vor dem Tor und hält den Ball auf
die Linie, dann nur noch einen
Zipfel auf die Linie, schließlich
hinter die Linie – und die Uhren
blinken. Die technischen Hilfsmit-
tel, sagt er, hätten den Job des
Schiedsrichter-Assistenten in den
vergangenen Jahren entscheidend
geprägt und verändert.
„Erst kamen die Piepser“, sagt
Mike Pickel, „dann irgendwann die
Headsets“. Mit einem Schmunzeln
erinnert er sich an die ersten
Gehversuche mit den Mikrofonen.
Daran, wie ein entnervter Kollege
bei einem gemeinsamen Einsatz
das Headset in der Halbzeitpause
in die Ecke warf.
Inzwischen sind die Geräte
Standard, seit der vergangenen
Spielzeit gilt das auch für die Tor-
linien-Technik. Mit Beginn der
Saison 2016/2017 laufen zudem
„Trockenübungen“ für den Video-
beweis. Außerdem nutzen die
DFB-Schiedsrichter und -Assisten-
ten Online-Videoportale. Mit dem
Programm WYSCOUT analysieren
sie Spiele. „Wir schauen uns an,
welche Systeme die Mannschaften
spielen, wie sie bei Standards ste-
hen und so weiter“, erklärt Pickel.
Der Schiedsrichter-Beobachter
der Partie zwischen Frankfurt und
Schalke konnte auf solche Hilfsmit-
tel zu seiner aktiven Zeit dagegen
Vor dem Spiel prüft das Team, ob die Torlinien-Technik funktioniert.
In den Katakomben der Commerzbank-Arena wird vor dem
Anpfiff noch die Muskulatur gelockert.