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Lehrwesen
S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 6 / 2 0 1 5
Sechs Fragen an Günter Perl
Die praktischen Fragen zum
aktuellen Lehrbrief-Thema,
dem Torwart, beantwortet die-
ses Mal Bundesliga-Schieds-
richter Günter Perl.
Herr Perl, wie intensiv kontrol-
lieren Sie vor dem Spiel die Aus-
rüstung der beiden Torleute und
worauf achten Sie dabei
besonders?
Günter Perl:
Der Schiedsrichter
wählt vor dem Spiel für sein Team
eine Farbe, die sich sowohl von
beiden Torhütern als auch von
den Mannschaften unterscheidet.
National können beide Torhüter
zwar dieselbe Trikotfarbe tragen –
dennoch ist es am sinnvollsten,
wenn sich auch hier beide Torhü-
ter voneinander unterscheiden.
Nicht zuletzt zum Ende des Spiels
wegen eventueller „Ausflüge“
des Torhüters, dessen Mann-
schaft gerade im Rückstand ist.
Der Fünf-Meter-Raum wird man-
chmal auch als „Schutzzone“ für
den Torhüter bezeichnet. Was ist
da dran?
Perl:
Den Passus, dass der Torhü-
ter in seinem Fünf-Meter-Raum
besonderen Schutz genießt, hat
man schon vor einigen Jahren
aus dem Regelbuch entfernt.
Das heißt: Wir behandeln den Tor-
wart wie einen normalen Feldspie-
ler. Besonderen Schutz genießt er
allerdings, wenn er den Ball mit
seinen Händen kontrolliert – dann
darf er nicht angegriffen werden.
Oft gibt es im Vorfeld von Eckstö-
ßen kleine Gerangel im unmittel-
baren Bereich des Torhüters.
Wann und wie sollte der Schieds-
richter hier eingreifen?
Perl:
Hier ist der Schiedsrichter
vor allem gefordert, eine solche
Situation frühzeitig zu erkennen
und im Vorfeld präventiv – also
noch bevor der Ball im Spiel ist –
einzugreifen. Als Schiedsrichter
spreche ich die fehlbaren Spieler
an, sich korrekt zu verhalten und
solche „Ringkämpfe“ um den Tor-
hüter herum zu unterlassen.
Laut Regelwerk darf der Torwart
den Ball im laufenden Spiel sechs
Sekunden lang in den Händen
„Ein Hinweis wirkt meist Wunder“
halten. Wie genau stoppen Sie
diese Zeit mit?
Perl:
Wenn mir auffällt, dass sich
ein Torhüter zu viel Zeit lässt, den
Ball wieder freizugeben, wird sehr
wohl genau mitgezählt. Und dann
erfolgt bei nächster Gelegenheit
ein Hinweis an den Keeper, sich an
die „Sechs-Sekunden-Regel“ zu
halten. Kommt er dem nicht nach,
gibt es ansonsten beim nächsten
Verstoß den indirekten Freistoß
für den Gegner. Ein Hinweis des
Schiedsrichters an den Torwart zur
rechten Zeit wirkt meist Wunder.
Wie sollte man als Schiedsrichter
reagieren, wenn die gegnerische
Mannschaft reklamiert, dass der
Günter Perl (45) pfeift seit
zehn Jahren in der Bundes-
liga.
Schiedsrichter präventiv vorge-
hen und bereits vor der Ausfüh-
rung die Angreifer ermahnen, sich
sportlich zu verhalten.
Letzter Punkt: das Verhalten des
Keepers beim Strafstoß. Den Teil-
nehmern muss deutlich gemacht
werden, dass sie hierbei nach
der Devise „Sicherheit vor Schnel-
ligkeit“ vorzugehen haben. Dazu
gehört es, darauf zu achten,
dass sich der Torwart bei der
Ausführung eines Strafstoßes
unbedingt auf der Torlinie auf-
zustellen hat und diese Linie
erst dann verlassen darf, wenn
der Ball getreten wurde.
Schließlich hat der Unparteiische
auch jede Unsportlichkeit sofort
zu unterbinden. Versucht der
Torwart, den Schützen in irgend-
einer Form zu provozieren, ver-
zögert er den Ablauf oder nimmt
er nicht seine vorgeschriebene
Position zwischen den Pfosten
ein, so ist er zunächst zu ermah-
nen. Kommt er diesen Anweisun-
gen auch dann nicht nach, so
spricht der Referee eine Verwar-
nung gegen ihn aus.
Torhüter beim Abschlag über
die Strafraumlinie tritt?
Perl:
Das Übertreten, das häufig
aus dem Schwung des Abschlags
zustandekommt, ist nicht verbo-
ten. Wird dabei allerdings der
Ball noch außerhalb des Straf-
raums mit der Hand geführt,
muss es natürlich einen direkten
Freistoß geben. Hier kann der
neutrale Assistent helfen, weil er
meist den besseren Blick auf die
Situation hat.
Zum Thema „Notbremse“: Liegt
eine solche nicht immer vor, wenn
der Torwart als „letzter Mann“
den gegnerischen Stürmer foult?
Perl:
Wenn ein Torhüter durch
ein Foulspiel eine eindeutige Tor-
möglichkeit verhindert, ist er
natürlich genau wie ein Feldspie-
ler des Feldes zu verweisen. Aber
bei Vergehen des Torhüters muss
der Schiedsrichter sehr genau
abwägen, ob es sich tatsächlich
um eine „Notbremse“ handelt
oder nicht. Denn läuft ein Stür-
mer mit dem Ball im Strafraum
vom Tor weg – zum Beispiel in
Richtung der Eckfahne – und wird
dann vom Torhüter auch als „letz-
ter Mann“ gefoult, spricht man
nicht immer zwangsläufig von
der Vereitelung eines Tores.
Als „letzter Mann“ läuft der
Torwart schnell Gefahr, durch
ein Foulspiel eine glasklare
Torchance zu vereiteln.
Bei der Arbeit an diesem Thema
geht der Lehrbrief 63 vom
klassischen Lernmodell „Einlei-
tung – Hauptteil – Schluss“ aus.
Die Verfasser beginnen mit einem
Impulsreferat, in dem der Lehr-
wart zunächst die theoretischen
Grundlagen zum Torwartspiel
anspricht.
In der Arbeitsphase werden Video-
szenen aus der Bundesliga und
von internationalen Spielen ana-
lysiert, und abschließend folgt als
Lernkontrolle ein Fragebogen mit
zehn Regelfragen.