S C H I E D S R I C H T E R -Z E I T U N G 2 / 2 0 1 7
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Titelthema
wäre nicht nur dem Fußball gene-
rell geholfen, sondern auch und
gerade unseren Schiedsrichtern.
Stichwort „Werner-Schwalbe“...
Krug
: Auf dem Platz, aus der
Position des Schiedsrichters, war
es ganz schwer, diese dynamische
Szene in Sekundenbruchteilen
richtig zu beurteilen. Aus der Hin-
tertor-Kamera-Perspektive, die der
Schiedsrichter nicht hat, war es
hingegen schnell klar, dass Werner
eine lupenreine „Schwalbe“ hin-
gelegt hatte. Und alle im Stadion
wussten es mit ihrem Smartphone
in der Hand nach wenigen Sekun-
den. Nur der Schiedsrichter durfte
keine Hilfe in Anspruch nehmen.
Das ist nicht mehr zeitgemäß.
Werden schwerwiegende Schieds-
richter-Fehler bei idealer Anwendung
des Systems künftig ausgeschlos-
sen? Oder können Sie nur mini-
miert werden?
Krug
: Wenn wir die von uns als
schwerwiegend definierten Fehler
zugrunde legen, können wir bei
optimalem Verlauf sicherlich drei
Viertel dieser Fehler abstellen.
Dabei besteht das größte zu lö-
sende Problem darin, die Frage zu
beantworten, wann dem Schieds-
richter ein KLARER Fehler unter-
laufen ist. Denn nur in diesem Fall
soll der Video-Assistent eingreifen.
Aber was muss gewährleistet
sein, damit ein Schiedsrichter-
Fehler als KLAR spezifiziert wird?
Also wann muss ein Video-Assis-
tent eingreifen? Die Diskussion
entsteht zwangsläufig bei vielen
Einzel-Situationen, und mit dieser
Diskussion müssen wir auch in
Zukunft rechnen, weil die Über-
gänge von „klar“ zu „weniger klar“
auch einer gewissen Subjektivität
unterworfen sind, die Abgren-
zung mitunter schwierig ist.
Was bedeutet das für das
weitere Vorgehen?
Krug
: Eine Umfrage im Stadion
können wir schlecht starten, also
müssen wir über vorhandene
Präzedenzfälle eigene Leitlinien
definieren. Nur so können wir eine
größtmögliche Einheitlichkeit in
der Anwendung erreichen. Daher
ist das Training mit Einzel-Situatio-
nen von ungeheurer Bedeutung.
Aus gutem Grund versorgen wir
über den wöchentlichen Trainings-
betrieb in Köln hinaus die Schieds-
richter seit Saisonbeginn an jedem
Montag mit bis zu zehn Einzel-
Situationen vom vorausgegange-
nen Spieltag. Die Schiedsrichter
beantworten online, ob und wie sie
als Video-Assistent eingegriffen
hätten. Die Lernerfolge dieser
Maßnahme sind evident. Wir haben
im Verlauf der Trainingswochen
nach und nach eine viel größere
Einheitlichkeit erzielt. Und die wird
letzten Endes auch mitentschei-
dend für das Gelingen des Projekts
„Video-Assistent“ sein.
Soll es zukünftig auch professio-
nelle Video-Assistenten geben, die
nur noch am Bildschirm sitzen?
Oder soll dort ganz bewusst immer
auch ein Austausch stattfinden?
Krug
: Das wäre zu weit in die Zu-
kunft gedacht. Im Moment kommen
als Video-Assistenten nur die Bun-
desliga-Schiedsrichter in Betracht.
Außerdem hören in diesem Jahr
drei renommierte Schiedsrichter
altersbedingt auf: Jochen Drees,
Günter Perl und Wolfgang Stark.
Es wäre gut möglich, dass auch die
drei weiterhin als Video-Assisten-
ten eingesetzt werden.
Wie sind bisher die Schiedsrich-
ter-Rückmeldungen zu diesem
neuen Aufgabengebiet?
Krug
: Alle ziehen hervorragend
mit. Auch den aktiven Schieds-
richtern ist natürlich sehr am
Gelingen des Projekts gelegen,
weil sie wissen, dass die Technik
ihnen helfen wird. Dass es immer
einmal den einen oder anderen
Hinweis gibt, wie man es vielleicht
besser machen könnte, liegt in
der Natur der Sache. Aber das
derzeit bestehende Protokoll
und dessen punktgenaue Umset-
zung sind für alle Nationalver-
bände bindend.
Und letzten Endes haben auch
diejenigen, die das Protokoll
definiert und aufgesetzt haben,
sich am meisten von allen mit
der Thematik auseinandergesetzt
und jeden Stein umgedreht,
soweit das auf der Basis ohne
grundlegende Praxiserfahrung
möglich ist. Also werden wir uns
wie jede Nation daran halten.
Ob und inwiefern es nach der
ersten Online-Phase dann noch
zu Änderungen und Modifikatio-
nen kommt, werden wir sehen.
Sehen Sie neben den Chancen
auch Risiken?
Krug
: Ich sehe nur ein Risiko: dass
die Öffentlichkeit zu ungeduldig
reagiert. Wir dürfen nicht die Erwar-
tung vermitteln, dass es künftig
keine Fehlentscheidungen mehr
geben wird. Gerade in der Anfangs-
phase müssen wir damit rechnen,
dass es zu Fehlern kommen wird,
die in der Öffentlichkeit Diskussio-
nen auslösen. Und sei es nur in
der Frage: Warum hat der Video-
Assistent nicht eingegriffen?
Wir können in unserer Kom-
mission selbst auch im Nach-
gang feststellen, dass er hätte
eingreifen sollen. Dann müssen
wir eben nachjustieren. Fehler
sind auf jeder Ebene unvermeid-
lich, auch wenn wir mit höchster
Präzision arbeiten. Aber alle,
auch Spieler, Vereinsvertreter
und die Öffentlichkeit, müssen
dem System zunächst einmal
eine faire Chance geben.
Was wird Ihre künftige Rolle in
Sachen Video-Assistent sein,
sobald die Testphase end-
gültig abgeschlossen ist?
Krug
: Ich werde, im Wechsel mit
meinen Kollegen aus der Schieds-
richter-Kommission Elite, unsere
Unparteiischen in der Rolle eines
„Supervisors“ unterstützen. Wir
werden an den Spieltagen, freitags
und sonntags einzeln, samstags
zu zweit, im Replay-Center in
Köln vor Ort sein – sozusagen
auf „Stand-by“. Im Bedarfsfall
können wir dann den Video-Assis-
tenten umgehend unterstützen.
Die Mitglieder der Schiedsrichter-Kommission Elite (im Vordergrund: Lutz Michael Fröhlich)
werden den Video-Assistenten als „Supervisoren“ beratend zur Seite stehen.