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richtig gewesen: „Das hätte er besser allein gemacht“,

merkt der Besserwisser sofort an. Hätte, hätte, Fahrrad-

kette…

Dass die Entscheidung, die der Spieler in Sekunden-

schnelle getroffen hat, falsch war, weiß er dann auch

selbst. Ob die vomSchlauberger geforderte Alternative

nicht noch mehr Gefahr für die eigene Mannschaft her-

aufbeschworenhätte,lässtsichnichtherausfinden,denn

die Situation ist ja nicht wiederholbar. Und deshalb auch

so einfach besserwisserisch zu kommentieren.

Und die Entscheidungen der Schiedsrichter? Auch sie

werden landauf, landab von den Spielen der Jüngsten

bis zu den Ü 60-Teams von „Kapitänen, die an Land ste-

hen“ kritisiert, um es milde auszudrücken. „Klar abseits,

Schiri!“ Dabei hat der Fußball-„Experte“ erst dann aufs

Abseits geachtet, als der Stürmer den Ball annahm.

„Hand!“ ist der Ruf, der an jedem Wochenende millio-

nenfach erschallt: „Hätte er pfeifen müssen“, lautet die

kategorische Feststellung des älteren Herrn, der sich

aufdiePlatzumrandungstützt.„WardochkeineAbsicht“,

merkt sein Nachbar an.

Die beiden werden nicht herausfinden, wer Recht hat,

denn auch die Situation auf der Bezirkssportanlage lässt

sich nicht wiederholen. So läuft es in Millionen Fällen

ab, und so lief es auch in den höchsten Spielklassen ab,

bis das Fernsehen den Fußball als Unterhaltungsstoff

für seine Zuschauer entdeckte. Und die „Wiederholung“

technisch möglich wurde.

Seitdem kann man Situationen noch einmal sehen und

beurteilen – zumindest auf dem Bildschirm. Was schon

mancher, auf demheimischen Sofa vorgetragenen Bes-

serwisserei in Sachen Spielleitung die Grundlage ent-

zieht, aber auch klare Fehler des Schiedsrichters ver-

deutlichen kann.

Und so hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten

das Fernsehen unseren Blick auf die Entscheidungen

des Schiedsrichters verändert. Wir schauen nicht wie

einstmals nur mit unseren Augen, sondern mit denen

vieler Kameras aus allen möglichen Blickwinkeln auf

eine Situation. Und zwar immer wieder – zu Hause auf

dem Großbildschirm in gestochenem HD, im Stadion

zumindest auf dem Smartphone.

Längst sind wir alle Wiederholungs-Junkies. Zeitlupe,

Superzeitlupe, Standbilder, virtuelle Linien–ohnediese

Hilfsmittel, diedieWirklichkeit auf demPlatz entschleu-

nigen, ja verzerren können, wagen es nur noch ganz

Mutige, eine Situationunmittelbar zubeurteilen. Zudie-

sen Mutigen zählen auch die Schiedsrichter im Profi-

Fußball, die unglaublich viele enge Szenen imMoment

ihres Geschehens richtig einschätzen, wie das Fernse-

hen zu ihrem Vorteil auch immer wieder zeigt.

Fehler werden von den Schiedrichtern trotzdem weiter

gemacht, auch grobe. Wobei dem Zuschauer die Fehler

umso unverständlicher erscheinen, je mehr ihm das

Fernsehen mit seinen technisch immer mehr verfeiner-

ten Möglichkeiten suggeriert, wie eindeutig die Situa-

tion doch eigentlich war.

Nehmen wir mal eine Situation aus dem Spiel

1. FC Kaiserslautern gegen Eintracht Braunschweig

(26. Spieltag)

. Vonder seitlichenStrafraumgrenzeflankt

Phillipp Mwene nach innen. Braunschweigs Verteidiger

Gustav Valsvik steht mit Blick zum Ball etwa drei Meter

vom Flankengeber entfernt. Während sein linker Arm

am Körper anliegt, hat er den rechten zur Seite ausge-

streckt.

Als der Ball den Fuß verlässt, dreht sich Valsvik

in die Flugrichtung des Balls und hält ihn mit dem rech-

ten Arm in Höhe des Ellenbogens auf. Kein Zweifel für

den TV-Nachbetrachter dieser Szene – absichtliches

Handspiel imStrafraum: Strafstoß! Dennoch ertönt kein

Pfiff, und es gibt auch kein durchaus angebrachtes Fah-

nenzeichendesAssistentenfüreinunauslegbaresHand-

spiel, das es ja war.

Im Gegenteil: Der Schiedsrichter macht eindeu-

tigeHandzeichen, dassweitergespieltwerdensoll , links

amBildrand. Was auch bedeutet, dass er die Szene beur-

teilthatundkeinstrafbaresHandspielfeststellenkonnte.

Da stellt sich die Frage: Ist für die Fernseh-Zuschauer

die Sache imNachhinein betrachtet vielleicht viel klarer

als für das Schiedsrichter-Team mit seinem nur einma-

ligen Blick auf die Szene? Wenn ja, warum? Vier Gründe

wollen wir nennen.

1. Waswir bei der Betrachtung der TV-Bilder vergessen:

Die Führungskamera (Normalgeschwindigkeit) zeigt

unsdenVorgangvonschrägoben, niemandverdeckt

die Sicht. Schon in dieser sogenannten „Totalen“

erahnen wir als Fernseh-Zuschauer ein Handspiel.

Wirklich erkennen und als strafwürdig einschätzen

tun wir es aber erst nach der Zeitlupe samt Standbild

(siehe Foto 2 ). Wobei das Bedürfnis, die Szene noch

einmal sehen zu können, dank der „Erziehung“ durch

das Fernsehen beim Zuschauer sehr groß ist und

dementsprechend befriedigt wird.

2. Von den Unparteiischen wird erwartet, dass sie die

Strafbarkeit sofort erkennen, ohne Hilfsmittel. Dazu

werden sie ausgebildet, dazu bringen sie einen gro-

ßenErfahrungsschatzmit,wennsiefürdieProfi-Ligen

nominiert werden.

3.

Durch die Zeitlupe wird die Dauer des „Ereig-

nisses“ (der Schuss von Mwene an den Arm von Vals-

vik), gedehnt. Statt 0,25 Sekunden (eine Viertelse-

kunde!), wie in der Wirklichkeit für die Schiedsrichter,

hat der Zuschauer nun eine Sekunde Zeit, den wohl-

gemerkttechnischverlangsamtenVorgangzudeuten.

Auch dabei hat er beste Sicht auf den Ablauf, ist dicht

dran, nichts stört seinen Blick. Die Fernbedienung

erlaubt ihm, ein Standbild zu kreieren, wenn es das

Fernsehen nicht schonmitgeliefert hat (siehe Foto 2).

4. Sehr wichtig für die Erklärung einer solchen Diskre-

panz in der Wahrnehmung ist die Position der Unpar-

teiischen auf dem Spielfeld. Sie befinden sich logi-

scherweise zu ebener Erde, können also nicht wie die

Kamera aus der Vogelperspektive auf die Szene

schauen.

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D F B -S CH I E D S R I CH T E R-Z E I T UNG 0 4 |2 017

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ANA LY S E