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s ist einer der ersten Sätze imGespräch, der direkt

hängenbleibt:„IchbinjetztgespanntaufeinLeben

mit normalen Wochenenden“, sagt Inka Müller-

Schmäh schmunzelnd. „Und auf Sport machen. Einfach,

wie ich Lust habe, ganz ohne Trainingsplan.“

Was nach einemprofanenWunsch klingt, hatte sie wäh-

rend ihrer 20 Jahre DFB- und 16 Jahre FIFA-Liste eher

selten. „Ichbinmit fünf Jahren indenorganisiertenSport

eingestiegen“, sagt die ehemaligeHandballerin. „Sport-

lich erfolgreich zu sein, macht das Leben zur dauerhaf-

ten Dreifachbelastung zwischen Hobby, Beruf und Pri-

vatleben. Dashabe ichmit Anfang30so richtiggemerkt,

als ich im Beruf auch die Chance hatte aufzusteigen“,

sagt die Frau, die auch im Job als Geschäftsführerin bei

der Vereinigung der Sportsponsoring-Anbieter seit vier

Jahren eine respektierte Führungskraft ist.

Auch wenn sie für die Schiedsrichterei viele Kompro-

misse machen musste, betont Inka Müller-Schmäh: „Im

Vergleich zu dem, was ich dadurch bekommen habe,

war es das wert.“ Und sie schickt wieder so einen Satz

hinterher, der nachhallt. „Ich habe zwar Jura studiert,

aber managen habe ich auf dem Platz gelernt.“ Was das

bedeutet, begründet sie so: „Es gab wenig in meinem

Leben, das meine Persönlichkeit so geformt hat wie die

Schiedsrichterei. Ich bin durch sie selbstbewusster,

durchsetzungsfähiger und kritikfähiger geworden.“

Und sie hat Freundschaften gebracht. Zum Beispiel mit

Katja Kobelt aus Berlin und Katharina Kruse aus Lud-

wigsfelde, mit denen sie ein Team bildete. „Ich habe

Menschen kennen- und schätzen gelernt, die ich im

normalen Leben vielleicht nie angesprochen hätte oder

sie mich nicht“, sagt Inka Müller-Schmäh offen. „Diese

Menschen werde ich vermissen.“

Zudenmenschlichenkamenunzählige sportlicheHigh-

lights. „International auf jeden Fall die Olympischen

Spiele“, schwärmt Inka Müller-Schmäh. „Da habe ich

Wochendanachnochnicht richtig kapiert, dass ichwirk-

lich dabei war. Ich war dort Teil eines riesigen großen

Ganzen. Das hat nachhaltig gewirkt. Und national sicher

das Pokalfinale. Aber ich muss sagen, dass ich von fast

jedemSpiel eine lustige Begebenheitmit Menschen vor

Ort mitgenommen habe.“

Fehler? „Klar, auf dem Platz gab es einige, die hätte ich

am liebsten nie gemacht.“ Den größten Fehler aber

machte sie im Jahr 2007 abseits des Rasens: Eine Erkäl-

tung kurierte sie nicht richtig aus, eine Herzmuskelent-

zündung war die Folge. „Aus übertriebenem Ehrgeiz“,

wie Inka Müller-Schmäh sagt. Denn sie sollte bei der

Frauen-WM in Shanghai pfeifen. „Ich wollte dort zeigen,

was ich kann, wollte aber zu viel.“ Sie musste absagen –

zieht aber imNachhinein auch hieraus, ganz ihremNatu-

rell entsprechend, das Positive: „Ich konntewährenddes

halben Jahrs auf der Couch viel nachdenken.“

Auch über die Erfahrungen mit einemMann, der für das

wohl dunkelste Kapitel der deutschen Schiedsrichterei

steht: Robert Hoyzer. Siewurde imRahmendes Fußball-

Wettskandals um den Berliner Ex-Kollegen deutsch-

landweit bekannt, da sie beim Regionalliga-Spiel

zwischen dem SC Paderborn und dem Chemnitzer FC

am 22. Mai 2004 eine Fehlentscheidung Hoyzers

bemerkte und damit eine Manipulation des Spiels ver-

hinderte. Damals drohte sie in den Sog der Negativ-

Berichterstattung hineingezogen zu werden. „Ich habe

in dem Spiel einfach nur meinen Job gemacht“, betont

sie heute. „Der Rattenschwanz war aber hinterher eine

harte Prüfung. Als Rechtsanwältin war ich gewohnt,

andere zu verteidigen. Jetzt war es ein Rollenwechsel.

Plötzlich war ich in einem Verfahren drin. Das war eine

große Herausforderung!“

ImMänner-Bereich amtierte Müller-Schmäh damals bei

Spielen bis zu der damals drittklassigen Regionalliga

Nordost an der Linie. Sollten mehr Frauen ihrem und

dem Beispiel der gerade in die Bundesliga aufgestiege-

nen Bibiana Steinhaus folgen? Auch dazu hat die schei-

dende Sprecherin der DFB-Schiedsrichterinnen eine

ausgewogene Haltung: „Das ist eine Frage der Prioritä-

tensetzung im Leben“, sagt sie. „Fakt ist: Als Frau muss

ich mehr tun, um die gleiche körperliche Leistung zu

bringen wie ein Mann. Der Einsatz in den Profiligen ist

außerdemmitmehrAufwandverbunden,wasdenberuf-

lichen Erfolg erschwert. Die Regionalliga war toll für

mich, ich habe jedes Spiel gefeiert. Aber irgendwann

habe ichgemerkt, dassdas auchetwasmitmeiner beruf-

lichen Laufbahnmacht. Das ist einbisschen traurig, aber

es ist die Realität!“

Die Dreifachbelastung – Beruf, Familie, Hobby – ist aus

ihrer Sicht der Hauptgrund, warum die meisten DFB-

Schiedsrichterinnen vor dem 40. Lebensjahr mit der

Schiedsrichterei aufhören. „Eine Bundesliga-Schieds-

richterin bei den Frauen kann mit ihren Honoraren kein

Gehalt ersetzen. Dasheißt, dassdieser Leistungsbereich

immer von beruflicher Arbeit begleitet werden muss.“

Und was macht sie selbst mit ihrer neu gewonnenen

Zeit? „Ich habe überlegt, mir eine Gitarre zu kaufen“,

erzählt sie lachend. Ein Ehrenamt in der Schiedsrichte-

rei soll zunächst jedenfalls nicht her. „Ich werde jetzt

erst einmal ein Jahr normales Leben ausprobieren – und

dann sehen wir weiter. Das habe ich meinem Mann ver-

sprochen.“ Dieser dritte extrempointierte Satz im Inter-

view lässt sich auch gesellschaftspolitisch deuten. Man

kennt solche Statements jameist vonMännern amEnde

ihrer Karriere. Es ist wohl gelebte Gleichberechtigung,

wenn sie andersrum jetzt auch von Frauen fallen.

T E X T

Bernd Peters

Von 1999 bis zuletzt

amtierte die Unpartei-

ische auch in der

Regionalliga der

Männer (hier im Ein-

satz bei den heutigen

FIFA- Schiedsrichtern

Manuel Gräfe und

Bastian Dankert, der

damals ebenfalls als

Assistent an der Linie

stand).

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