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Lehrwesen
Sieben Fragen an Patrick Ittrich
Wenn der Auswechselspieler „entgegenkommt“
Die praktischen Fragen zum
aktuellen Lehrbrief-Thema
beantwortet dieses Mal Bun-
desliga-Schiedsrichter Patrick
Ittrich.
Herr Ittrich, Sie sind Bundes-
liga-Schiedsrichter und haben
damit im Vergleich zu vielen
Amateur-Schiedsrichtern noch
eine Zwischeninstanz zur Bank.
Wie viel bekommen Sie selbst
noch mit, gerade auch in Bezug
auf Auswechselspieler, und
wie viel übernimmt der Vierte
Offizielle?
Patrick Ittrich
: Es ist mitt-
lerweile schon so, dass sich
nicht nur Trainer und Offizi-
elle von Mannschaften über
Schiedsrichter-Entscheidungen
beschweren, sondern zuneh-
mend auch Auswechselspieler.
Insofern ist der Vierte Offizielle
bei uns natürlich äußerst
gefragt, und wir sind alle sehr
froh, dass es ihn gibt.
Würden Sie sagen, dass sich
das Verhalten von Auswechsel-
spielern auf der Bank in den
vergangenen Jahren verändert
hat?
Ittrich
: Ich will es mal so
ausdrücken: Das Verhalten
auf der Bank ist grundsätzlich
schwieriger geworden. Es wird
mehr protestiert als in den
vergangenen Jahren, zum Teil
auch in einer anderen Art und
Weise.
Natürlich gehören Emotionen
zum Fußball dazu, und die
sollen auch in einem gewissen
Rahmen zugelassen werden.
Trotzdem, wenn Mimik, Gestik
und Aussprache in einer Pro-
test-Situation – auch und zum
Teil insbesondere bei Auswech-
selspielern – diesen Rahmen
verlassen, dann müssen wir
einschreiten und zunächst einmal
verbal tätig werden.
Wenn verbale Maßnahmen nicht
mehr nützen, dann kommen
im Regelfall die Persönlichen
Strafen. Ist es bei Ihnen schon
vorgekommen, dass Sie Aus-
wechselspieler mit Persönlichen
Strafen belegen mussten?
Ittrich
: Ein Feldverweis war bei
mir bislang nicht dabei. Aber,
und das ist ganz wichtig: Es ist ja
nicht nur der Auswechselspieler
auf der Bank, der unsportlich
agieren kann, sondern auch der
Auswechselspieler, der sich ne-
ben dem eigenen Tor warm läuft.
Wenn so einer beispielsweise
in „Rudelbildungen“ nahe der
Torauslinie mitmischt, dann muss
der Schiedsrichter aufmerksam
sein und auch solch einen Spieler
verwarnen.
Neue Situation: Spielerwechsel
in einer Verbandsklasse, sagen
wir: der Landesliga. Welche Tipps
würden Sie einem jungen Assis-
tenten beim Auswechselvorgang
geben?
Ittrich
: Man sollte immer im
Hinterkopf haben, wann ein
Spielerwechsel wirklich vollzo-
gen ist. Hier ist volle Aufmerk-
samkeit gefragt! Das geht bis
zu Sonderfällen, bei denen ein
eingewechselter Spieler einen
Einwurf ausführen will – natür-
lich muss er dafür zunächst den
Platz betreten haben. Ansonsten
kommt es natürlich öfter mal vor,
dass einzuwechselnde Spieler zu
früh aufs Feld laufen. Hier würde
ich den Kollegen an der Basis
raten, vom Ermessens-Spielraum
Gebrauch zu machen. Wenn
ein Einwechselspieler seinem
Mitspieler wirklich nur ein bis
zwei Meter „entgegenkommt“,
dann ist das sicherlich noch kein
Grund, diesem Spieler hinter-
her zu laufen. Wenn ein Spieler
andererseits deutlich zu früh und
zu weit auf den Platz läuft, dann
ist er zu verwarnen.
Noch eine Frage aus der Grau-
zone des Amateur-Bereichs:
Gerade in unteren Klassen kommt
es öfter vor, dass Trainer dem
Schiedsrichter sagen: „Sag mir
Bescheid, wenn mein Spieler
‚Gelb/Rot’-gefährdet ist, dann
wechsel‘ ich ihn aus, bevor du es
tust.“ Was halten Sie davon?
Ittrich
: Das ist eine schwierige
Frage. Da wird natürlich häufig
das sogenannte Fingerspitzen-
gefühl eingefordert. Das Problem
dabei ist nur, dass viele
Mannschaften das nur für
sich selbst beanspruchen.
Es kommt ja nicht gerade
häufig vor, dass ein Trainer
zum Schiedsrichter kommt
und sagt: „Wenn ein Spieler
der gegnerischen Mannschaft
‚Gelb/Rot‘-gefährdet ist, sagen
Sie doch bitte meinem Kollegen
Bescheid.“ Insofern sollte man
als Schiedsrichter immer eine
gewisse Genauigkeit an den
Tag legen - trotzdem kennt
vermutlich jeder diese Fälle
aus der Praxis und wird sich
dann situativ ein eigenes
Urteil bilden.
In einigen Kreisligen gibt es
inzwischen Pilotprojekte, bei
denen ausgewechselte Spieler
wieder eingewechselt werden
können. Was halten Sie von
der Idee?
Ittrich
: Grundsätzlich wüsste
ich erst einmal nicht, was
dagegen sprechen könnte.
Die Frage ist höchstens für
die Vereine, ob man sich
wirklich einen Gefallen damit
tut, wenn ausgelaugte Spieler
wieder eingewechselt werden.
Für mich als Schiedsrichter
macht es allerdings keinen
Unterschied, ob ein neuer
Spieler kommt oder einer,
der zuvor bereits mitgespielt
hat.
Es sei denn, der Spieler war
vorher problematisch…
Ittrich
: (lacht) Klar. Wenn
es natürlich ein Spieler ist,
der einen das ganze Spiel
beschäftigt hat und bei dem
man sich freut, dass durch die
Auswechslung vielleicht ein
Feldverweis verhindert wurde,
dann würde ich denken: Oh je,
jetzt kommt der wieder, und
das Ganze geht von vorne los.
Patrick Ittrich aus Hamburg
kommt seit Jahresbeginn als
Schiedsrichter in der Bundes-
liga zum Einsatz.