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DFB-WISSENSCHAFTSKONGRESS 2013
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den, ist das Pensum dennoch hoch und es muss hoch
sein, um ein entsprechendes Niveau zu erreichen. Zu re-
flektieren sind aus meiner Sicht jedoch die Wettkampf-
systeme: Hier ist in den letzten Jahren eine Ausweitung
und Erhöhung der Zahl der Wettkämpfe zu beobachten,
die zum Teil ökonomischen Interessen geschuldet zu
sein scheint – als Beispiel sei die Einführung der europäi-
schen Champions-League für U19-Mannschaften ge-
nannt. Es gilt daher zu prüfen, wie viele und welche
Wettkämpfe für eine optimale Leistungsentwicklung der
Spieler tatsächlich notwendig sind, um die ohnehin hohe
Vereinnahmung nicht unnötig zu forcieren – gerade in
einem Altersbereich wie U19, wo einige Spieler kurz vor
dem Abitur stehen.
Denn das Problem, das sich aus der enormen Vereinnah-
mung durch den Fußball für die Nachwuchsspieler er-
gibt, liegt auf der Hand: Die Erfüllung von Rollenanforde-
rungen in anderen Bereichen wird maßgeblich einge-
schränkt und dies betrifft nicht zuletzt schulische Anfor-
derungen. Soziologisch kann man in diesem Kontext von
einer Hyperinklusion in das Sportsystem sprechen, die
die Teilhabechancen in anderen gesellschaftlichen Be-
reichen erheblich beeinträchtigt oder gar unmöglich
macht.
Betrachtet man nun die Schule, genauer: die Schülerrol-
le, so steht diese jedem offen, sie ist bis zu einem be-
stimmten Alter sogar verpflichtend. Im Gegensatz zur
Hyperinklusion in der Rolle als Fußballer kann man hier
von einer Regelinklusion sprechen, die in der Gesell-
schaft massenhaft vorkommt. Das heißt aber nicht, dass
die Teilnahme beliebig ist, vielmehr stellt auch die Schu-
le hohe zeitliche Anforderungen an die Schüler: durch
die tägliche Teilnahme am Unterricht, durch Hausaufga-
ben, durch die Vorbereitung auf Arbeiten und Klausuren.
Reflektiert man die bisherigen Überlegungen, dann re-
sultiert das Problem dualer Karrieren vor allem aus der
hohen und simultanen zeitlichen Beanspruchung im
Sport und in der Schule, wobei die Hyperinklusion in der
Sportlerrolle die Regelinklusion in der Schülerrolle ge-
fährdet. Wichtig ist, dass sich das Problem dualer Karrie-
ren extrem einseitig auswirkt. Denn die Schule hat an
dieser Stelle als Organisation letztlich kein Problem, weil
ihr aufgrund der Schulpflicht ja die massenhafte
Duale Karriere – Spannungsfeld zwischen
Schule und Fußball
Blicken wir zunächst auf die spitzensportliche Nach-
wuchsförderung im Fußball:
Wer im Fußball erfolgreich sein möchte und irgendwann
einmal in der Bundesliga oder gar in der Nationalmann-
schaft spielen will, der muss schon vom Kindes- und Ju-
gendalter an ein zielgerichtetes und systematisches
Training betreiben. Auch wenn die Trainingsumfänge im
Fußball im Vergleich zu manchen Individualsportarten in
dieser Phase noch moderat erscheinen – spätestens ab
der C-Jugend gilt, dass die Nachwuchsspieler täglich
trainieren, zum Teil zwei Trainingseinheiten am Tag ab-
solvieren. Hinzu kommen die Spiele am Wochenende,
Fahrten zum Training und zu den Wettkämpfen, gegebe-
nenfalls noch physiotherapeutische Maßnahmen. Und
die besten Nachwuchsspieler – also diejenigen, die den
Auswahlmannschaften des DFB und der Landesverbän-
de angehören – haben zudem auch noch Lehrgänge zu
absolvieren. Im aktuellen Rahmenterminplan des DFB
für die Saison 2012/13 sind zum Beispiel für die U17 ins-
gesamt 106 Tage für Leistungstests, Sichtungen, Trai-
ningslehrgänge, Länderspiele und Turniere reserviert –
es ist also ein enormes Pensum, das die Nationalspieler
dort zusätzlich zum Training in ihren Vereinen absolvie-
ren.
Das heißt also: Bereits Nachwuchsspieler werden vor al-
lem in zeitlicher Hinsicht durch den Fußball hochgradig
vereinnahmt. Diese Vereinnahmung ist durch die Sieges-
und Überbietungslogik des Spitzensports strukturell an-
gelegt, was bedeutet: Sie ist kaum veränderbar. Denn die
Anforderungen an die Nachwuchsspieler resultieren aus
der extremen Konkurrenzsituation und dem Knappheits-
status der Rolle als Bundesliga- oder Nationalspieler:
viele wollen an die Spitze, aber nur wenige schaffen es.
Und sie haben nur eine Chance, wenn sie sich auf die
hochgradige Vereinnahmung durch Training und Wett-
kämpfe einlassen.
An dieser Stelle ist allerdings eine einschränkende Be-
merkung zu machen: Was das Training angeht scheint
klar, dass man die Anforderungen kaum reduzieren
kann. Auch wenn im Hinblick auf Trainingsumfänge
längst keine Maximierungsstrategien mehr verfolgt wer-