Nachdem wir zwei Wochen lang gut trainiert und zwei tolle Heimerfolge erzielt hatten, folgte am vergangenen Samstag die erneute Ernüchterung: Gerade noch hatten wir mit Hauenhorst einen Top-Favoriten auf den Aufstieg mit 3:0 geschlagen, nur um sechs Tage später gegen die abstiegsbedrohten Damen aus Herford 4:2 zu verlieren. Die gute Stimmung? Dahin.
Teil 19: Unser stärkster Gegner
Selbsterfüllende Prophezeiung
Jeder Trainer kennt dieses Gefühl: Irgendwas ist komisch. Die Stimmung beim Training ein bisschen zu ausgelassen. Das Team schwebt auf einer Erfolgswolke dahin, erkennt aber das haraufziehende Gewitter nicht. Wir fangen an zu warnen. Aufmerksam zu machen, dass es mit zwei guten Leistungen nicht getan ist. Dass die kommenden Gegner zwar in der Tabelle unten stehen, aber gerade deshalb gefährlich sind, weil es für sie um den Klassenerhalt geht und sie um jeden Punkt kämpfen werden. Wir drücken unseren Unmut über die Trainingsleistung aus: „Wenn wir Sonntag so spielen wie wir die Woche über trainiert haben, dann wird das eine ganz schwere Nummer. Reißt euch zusammen!"
Worte, die eine Fußballmannschaft auf ihrem Hoch natürlich nicht hören will. Still schweigend nehmen sie zur Kenntnis, was gesagt wurde. Ihre Blicke sagen jedoch: „Entspann dich Coach. Wir regeln das schon". Wir entspannen uns und vertrauen der Mannschaft. Wir sagen uns: „So schlimm war die Trainingswoche jetzt auch wieder nicht. Gerade nach der tollen Leistung vom letzten Spieltag muss ein bisschen „Jux“ ja mal erlaubt sein". Aber irgendwo ganz tief im Bauch sitzt trotzdem noch dieses Gefühl, dass etwas nicht stimmt.
Niemand schlägt uns so wie wir selbst
Dann ist er da, der Spieltag. Die Stimmung im Team ist immer noch ausgesprochen gut. Das steckt an. Der Ball rollt und die erste Viertelstunde verläuft ohne große Ereignisse. Wenig verwunderlich - wussten wir doch, dass der Gegner um jeden Punkt kämpfen und entsprechend diszipliniert auftreten würde. Nach einer Ecke haben wir dann die Möglichkeit in Führung zu gehen. Den Volleyschuss pariert die gegnerische Torhüterin jedoch hervorragend. Wenig später aber der Schock: Ohne großen Druck sorgt eine kleine technische Unsauberkeit in Kombination mit trockenem, stumpfen Rasen dafür, dass der Pass unserer Torhüterin nicht im Fuße der anvisierten Innenverteidigerin, sondern direkt bei der gegnerischen Stürmerin landet – 1:0.
Urplötzlich brennt es wieder in der Magengegend. Da war ja was. Dieses komische Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt. Auch auf dem Platz kippt die Stimmung. Damit hatte man nicht gerechnet. „Weiter geht's - nichts passiert!" Was man halt so sagt, nach einem blöden Gegentor. Dass sehr wohl was passiert war, äußerte sich dann doch schnell und sehr offensichtlich. Mut und Entschlossenheit der vergangenen Wochen waren wie weggeblasen. Stattdessen machten sich Zweifel und Unsicherheiten breit. Aus: „Geh drauf, den hast du" wurde plötzlich: „Hey! Wer hat die?"
Der Gegner hingegen hatte Feuer gefangen und legt in der ersten Hälfte noch das zweite und dritte Tor nach. Über alle Maße bedient geht es in die Kabine zur Halbzeitansprache. Doch all die Spannung, die sich über die ersten 45 Minuten aufgebaut hat, ist plötzlich weg. Im Kopf gibt es nur einen Gedanken: „Ich hab's geahnt." Und dieser Gedanke bringt alles durcheinander. Bei einem 3:0-Rückstand zusätzlich auf dem Team rumzuhacken ist keine gute Idee, aber dieses Gefühl aus der Magengegend ist mittlerweile bis in den Hals vorgedrungen. Es will raus. Ich schlucke es runter und frage die Mannschaft was sie braucht. „Irgendwie passt das alles nicht, wir wollen umstellen", sagt meine Kapitänin.
Vom Reißbrett auf den Platz
Viel schmerzhafteres Feedback gibt es kaum für einen Trainer, denn implizit bedeutet das: „Wir fühlen uns unwohl in der vorgegebenen Grundordnung und das System, das daraus entstehen soll, funktioniert nicht". 15 Minuten sind zu wenig, um jetzt eine Diskussion über Zusammenhänge und Unterschiede zwischen Grundordnung und System zu führen. Wenn es dem Kopf hilft, dann tausche ich gerne die Position eines Magneten auf der Tafel.
Interessanter Weise bewirkte diese eigentlich vernachlässigbar kleine Änderung, dass die Mannschaft plötzlich entfesselt und unbedarft anrennen und den Druck entwickeln konnte, den wir in den letzten Wochen auf den Platz brachten. Dass die Spielerinnen sich währenddessen naturgemäß nicht auf den Positionen und in den Räumen aufhielten, die die Magneten auf der Tafel vorgaben, spielte keine Rolle. Es wurde bedingungs- und kompromisslos nach vorne verteidigt, abgesichert und rotiert. Es wurde endlich Fußball gespielt. Losgelöst vom Reißbrett - so wie es sich gehört.
Nach einer Viertelstunde schafften wir den Anschlusstreffer, mussten aber daraufhin ein weiteres Gegentor hinnehmen. Doch auch der konnte den Willen auf Wiedergutmachung nicht brechen. Es wurde weiter hoch angelaufen, zielstrebig nach vorne gespielt und das Ergebnis immerhin noch auf 4:2 korrigiert. Zwei der Gegentore hatten wir uns selbst eingeschenkt – niemand schlägt uns so wie wir.