FT 10/21-Ergänzung: „Bio-Banding“ beim 1. FC Köln
FT: Niklas, gemäß dem Bio-Banding-Ansatz nehmt ihr in den Altersstufen von der U 13 bis zur U 15 eine Einteilung in Gruppen anhand der biologischen Reife vor. Diese Aufteilung nach dem Peak-Height-Velocity-Wert ist zumindest im Athletikbereich nicht so neu, oder?
Niklas Hoge: Also in dieser Art und Weise haben wir das bisher noch nicht durchgeführt. Wenn wir uns jetzt beispielsweise die U 15 anschauen, merken wir, dass wir in dieser Liga Mannschaften haben, die körperlich weiter entwickelt sind. Ob sich das dann auch spielerisch widerspiegelt, weiß ich nicht.
Wie habt ihr die Werte, die der Einteilung zugrunde liegen, bestimmt?
Jeder Spieler wird sechsmal gemessen: Je zweimal ermitteln wir die Größe der Spieler im Stehen und im Sitzen und zweimal werden sie gewogen. Diese Werte werden in eine Formel eingesetzt, die dann berechnet, in welchem biologischen Alter die Spieler sich gerade befinden.
Welches Tool nutzt du, um die Messwerte einzugeben und den jeweiligen Entwicklungsstand zu ermitteln?
Wir haben über die Website scienceforsport.com ein Tool gefunden, das für jeden frei einseh- und nutzbar ist. Bei dem sogenannten „Maturity Offset and PHV Calculator“ handelt es sich um eine Tabellenkalkulation, in die man die Werte der Spieler händisch einträgt und die entsprechende Entwicklungsstufe angezeigt bekommt.
Jeder Spieler hat das Recht auf eine individualisierte Ausbildung.
Im Prinzip könnte das also jeder Verein machen?
Ja, durchaus. Dabei handelt es sich auch um eine sehr sinnvolle Sache. Es gibt immer Spieler, die fußballerisch schon sehr gut, aber in ihrer biologischen Entwicklung noch nicht so weit sind. Sie werden in ihrer Altersklasse wahrscheinlich nicht ideal gefördert, weil sie körperlich einfach keine Chance haben. Dieser Nachteil hat auch Einfluss auf andere Faktoren: So kann es sein, dass der Spieler schneller ermüdet und dadurch im Laufe einer Spielform nicht mehr die besten Entscheidungen trifft.
Du gehst dann auch sehr individualisiert auf die Spieler ein?
Ja auf jeden Fall. Jeder Spieler hat das Recht auf eine individualisierte Ausbildung - gerade wenn wir über potentielle Profifußballer reden. Es ist dann für mich selbstverständlich, dass die Talente nach Ihren körperlichen Voraussetzungen weiterentwickelt werden.
Ihr teilt in drei Gruppen ein: P1, P2 und P3, wobei die Gruppe P1 vor allem aus U 13-Spielern und Spätentwicklern besteht und die Gruppe P3 sich aus den körperlich am weitesten Entwickelten zusammensetzt. Was zeichnet diese Gruppe P1 aus?
Diese Gruppe zeichnet sich durch eine hohe Lernbereitschaft aus. Obwohl die physischen und mentalen Anforderungen hoch sind, lernen die Jungs ungemein schnell. Das zeigt sich unter anderem daran, dass Korrekturen oder Hinweise zügig umgesetzt werden. Diese Fortschritte sind aber auch von großer Wichtigkeit, da die Jungs irgendwann den Schritt in die nächste Gruppe machen müssen.
Worum geht es beim Athletiktraining mit dieser Gruppe?
Wir bringen den Spielern dieser Gruppe bestimmte Bewegungabläufe bei. Sie lernen, Bewegungen sicher auszuführen, die sie später im Spiel benötigen. Dabei spielen verschiedene Faktoren wie Kraft und Stabilität eine Rolle. Mit einfachen Übungen wie dem Seilspringen fangen wir an.
Hinsichtlich der Belastung müssen wir das Wachstum im Blick behalten, da hier Gelenke und Sehnen oft unterschiedlich stark beansprucht werden und eine gewisse Zeit brauchen, um sich an die höhere Intensität zu gewöhnen.
Wie gestaltest du das Training attraktiv und abwechslungsreich?
Die Jungs würden selbstverständlich alle am liebsten direkt auf den Platz und dort einfach kicken. Ich versuche, den Ball möglichst häufig zu integrieren, um die Jungs motiviert zu halten. Zudem kommt mit dem Einsatz eines Balles ein weiterer kognitiver Faktor hinzu, da sich die Spieler nicht ausschließlich auf die Ausführung der Übung, sondern eben auch auf den Ball konzentrieren. Hilfsmittel wie z. B. Minibänder sind natürlich auch nützlich, gerade, wenn es um die Entwicklung der Beinmuskulatur geht.
Abgesehen von den Minibändern arbeitet ihr hauptsächlich mit dem eigenen Körpergewicht?
Ja, es wird hauptsächlich mit dem eigenen Körpergewicht trainiert, aber auch das Verhalten im Raum geschult. So wollen wir den Jungs ein besseres Körpergefühl vermitteln.
Welche Schwerpunkte setzt ihr bei der Gruppe P2?
Hier stehen Bewegungsvariationen im Mittelpunkt. Dadurch wollen wir eine verlässliche Bewegungsqualität gewährleisten. Die Inhalte aus der Pre-PHV-Gruppe werden aufgegriffen und um einige Abläufe erweitert. So trainieren wir viele verschiedene fußballspezifische Bewegungen, wie zum Beispiel das Springen oder auch das Landen.
Musst du mit dieser Gruppe besonders behutsam umgehen, weil sich die Spieler hier in dem Entwicklungsstadium des Wachstums befinden, oder stellt sich ihr Körper schnell auf die Anforderungen ein?
Auch wenn sich die Jungs relativ schnell an die Anforderungen gewöhnen, müssen wir dennoch behutsam vorgehen, da sich die Gelenke in der Wachstumsphase ständig anpassen. Insofern kann es schon mal vorkommen, dass wir einzelne Spieler aus dem Training rausnehmen müssen, wenn sie Schmerzen bei bestimmten Übungen empfinden.
Die Gruppe P3 konnten wir eben beim Training im Kraft-Zelt beobachten. Geht es bei diesen Spielern eher um die Kraftarbeit?
Bei den am weitesten entwickelten Spielern legen wir den Fokus auf das Lernen funktioneller Bewegungen und greifen in diesem Zusammenhang auch auf Zusatzbelastungen zurück. Darüber hinaus zielen wir darauf ab, durch gezieltes Muskeltraining Verletzungen vorzubeugen. Hier trainieren wir vor allem fußballspezifische Muskeln wie den hinteren Oberschenkel oder ganz allgemein die Beinkraft in einem höheren Umfang.
Ihr habt alle Spieler getestet und den jeweiligen Gruppen zugeordnet. Wie siehst du das mit Bezug auf Fluktuationen? Bleiben die Spieler erstmal für eine Weile in ihren Gruppen?
Wir haben festgelegt, dass wir die Zusammensetzung für sechs Monate beibehalten und anschließend erneut Messungen vornehmen. Dann kann es schon sein, dass es Veränderungen gibt. Die Formel für das Bio-Banding gibt auch einen kleinen Ausblick hinsichtlich der möglichen Entwicklung eines Spielers. Wichtig ist es, ihnen richtig zu vermitteln, warum sie in welcher Gruppe sind und dass die Gruppeneinteilung zu ihrem eigenen Nutzen ist. Für ältere Spieler, die mit jüngeren trainieren, ist es auch eine Chance, Verantwortung zu übernehmen. Das kann für uns Trainer eine gute Möglichkeit darstellen, einen Einblick in die Persönlichkeit der Spieler zu erhalten.
Habt Ihr euch hinsichtlich der Einteilung nur auf die Daten bezogen oder gab es auch Gespräche mit den Trainern?
Im athletischen Bereich stützten wir uns ausschließlich auf die Daten. Da gab es auch zwei kontroverse Fälle, in denen die Formel angab, dass diese Spieler im nächsten Monat schon weiter sein könnten. Hier haben wir dann nochmal im Trainerteam diskutiert. Am Ende beließen wir es dann allerdings bei der Einteilung.
Die Trainer haben die Gruppen für die fußballerischen Einheiten leicht angepasst, was organisatorisch aber kein Problem darstellt.
Alles zum Bio-Banding beim 1. FC Köln lest ihr im zugehörigen Artikel in der neuen Fußballtraining-Ausgabe 10/21.