Die „Gunners“ bringen sich in Stellung!
So arbeiten die "Gunners"
Mit hohen Erwartungen sind wir der Einladung zu den „Gunners“ gefolgt und haben uns auf den Weg in die englische Hauptstadt, ohne Zweifel auch die Hauptstadt des Fußballs, gemacht. Wir wurden nicht enttäuscht! Keine Tür blieb uns verschlossen: Vom Grundlagen- über den Aufbau- bis zum Übergangsbereich standen uns Trainer und Verantwortliche Rede und Antwort. So erwartet euch ein tiefer Einblick in die Nachwuchsarbeit der "Gunners“!
Interview mit Mertesacker und Lucassen
Der FC Arsenal London verfolgt das Ziel, sich mit seiner Jugend-Akademie in der Weltspitze zu positionieren. Wie der Klub aus der englischen Hauptstadt das schaffen will, warum der Weg dahin gar nicht so weit ist und weshalb der Fokus der Ausbildung nicht nur auf der fußballspezifischen Entwicklung der Talente gerichtet sein darf, erläutern der Akademie-Leiter Per Mertesacker und der Sportliche Leiter Marcel Lucassen.
Per, wie sind Sie zu der Position als „Head of Academy" des FC Arsenal London gekommen und was macht für Sie den Reiz dieser Aufgabe aus?
Per Mertesacker (PM): Vor meinem letzten Jahr als Arsenal-Spieler erhielt ich das Angebot, nach meiner Karriere die Leitung der Akademie zu übernehmen. Es war schon etwas Besonderes, nach 15 Jahren Profifußball Tschüss zu sagen – zu einem Geschäft, das mir viel bedeutet und sehr viel gegeben, aber natürlich auch sehr viel genommen hat. Für mich war schnell klar, dass ich gerne hier in diesem Verein weiterarbeiten und sozusagen die nächste Generation an Spielern auf ihrem Weg begleiten möchte – als Fußballer und auch als Menschen. Ich habe dem Fußball und dem FC Arsenal viel zu verdanken und möchte ihm etwas zurückgeben. Ich lernte viele junge Spieler kennen, die aus der Jugend in die erste Mannschaft kamen, und habe mich schon manchmal gefragt, ob diese Jungs wirklich kapiert haben, was es bedeutet, für diesen Verein mit seiner Historie zu spielen – und ob sie sich der Verantwortung bewusst sind, die sie dem Klub und seinen Fans gegenüber haben. Dieser Verantwortung wollte ich gerne gerecht werden. In meinem nunmehr zweiten Jahr als Leiter der Akademie bin ich noch dabei, Dinge zu erfahren und das System erst richtig kennenzulernen. Aber schon jetzt möchte ich die Qualität so hoch wie möglich halten und verbessern. Deshalb war es gleich zu Beginn eine wichtige Maßnahme, Trainingsinhalte zu analysieren. Es gibt von außen natürlich viel Lob für Arsenal und den Fußball, den man hier spielt. Doch ich wollte unbedingt tiefer ins Detail gehen und brauchte dazu Unterstützung. Noch als Spieler war es deshalb meine Aufgabe, einen „Head of Coach and Player Development" zu finden. Diese Person sollte alle Inhalte leiten – in der Ausbildung der Spieler und Trainer. Und darum habe ich Marcel geholt. Seine Erfahrung in der Trainerausbildung, die ich schlichtweg nicht habe, ist sein großes Plus.
Marcel ist einer der Experten, die in ihrem Team leitende Funktionen haben. Wer sind die anderen?
PM: Ja , wir haben eine Manager-Struktur und sehr viele „Heads of …" Da gibt es neben dem Trainerbereich auch den Fitness-Bereich, die Psychologie, die Analyse – ein breites Spektrum an Abteilungen und Personen. Natürlich können wir uns bei diesen Möglichkeiten nicht beschweren und sind sehr gut aufgestellt. Über diesem ‘Academy-Management-Team’ gibt es noch das „Academy-Leadership-Team". Dort bin ich drin, dort ist Marcel drin sowie mein Assistent und jemand, der sich um die langfristige Ausrichtung der Akademie kümmert. Wir geben den Managern vor, in welche Richtung wir gehen. Das war meiner Ansicht nach nötig, um unserem Ziel, weltweit zu den Besten zu gehören, gerecht zu werden. Nur das kann und darf unser Anspruch sein. Deshalb benötige ich diesen Stab von Personen, der für mich ganz wichtig ist und die langfristigen Entscheidungen der Akademie trägt. Darunter stehen dann die Abteilungsleiter, die uns ständig auf dem Laufenden halten. Insgesamt sind wir in der Leitung somit zehn Personen, um die langfristige Strategie kümmern wir uns zu viert.
Wie haben Sie die Akademie 2018 vorgefunden? Wie ist der Stand nach nunmehr einem Jahr und wohin soll es gehen?
PM: Unsere Analyse hat etwas gedauert und dauert auch immer noch an. Trotzdem wollten wir von Anfang an alles in Frage stellen: Sind wir wirklich top in der Betreuung, top im Trainerwesen, top darin, junge Menschen als Profi-Fußballer und auch als Menschen aufzubauen, sie auch auf das Leben vorzubereiten? Wir haben in diesen Bereichen sehr hohe Ansprüche. Wir wollen unseren Job ehrlich und aufrecht ausüben und klar ansprechen, was uns nicht passt – alles nach bestem Wissen und Gewissen. Ich habe 15 Jahre im Top-Bereich gespielt, brauche aber Experten um mich herum, die das System der Jugendausbildung besser kennen und verstehen als ich. Das ist auch meine Aufgabe, von diesen Menschen zu lernen, die den Kindern und Jugendlichen schlussendlich das mitgeben, was sie auch wirklich brauchen – für einen starken Charakter und eine starke fußballerische Ausbildung. Viele Talente haben das Ziel, am Ende zu den Besten zu gehören. Da wollen wir gute Vorbilder sein und unsere Vision vervollständigen, „strong young Gunners" aufzubauen: Starke Jungs, die sich mit den Werten des Klubs zu 100 Prozent identifizieren. Talente, die es in unsere Profimannschaft oder in andere Teams schaffen oder auch außerhalb des Fußballs eine Karriere starten. Das ist unser Anspruch und dafür geben wir jeden Tag sehr viel.
Ist es das, was Sie bei den eben erwähnten Talenten vermisst haben, die zu den Profis gekommen sind? Dass sie keine „strong young Gunners" waren?
PM: Ja, so könnte man es sagen. Natürlich nur teilweise, aber bei Attributen, von denen ich meine, dass sie den Unterschied ausmachen. Viele schaffen es, in einer Aktion oder an einem Tag zu glänzen, aber um Profi zu werden, musst du konstant deine Topleistung abrufen. Das muss ein junger Spieler verstehen. Es geht darum, sich täglich zu verbessern, lernwillig zu sein. Wer hier bei Arsenal den Unterschied ausmachen will, muss den Status quo immer wieder herausfordern. Diejenigen, die schon zehn Jahre im Geschäft sind, die erfolgreich waren und es immer noch sind – von denen müssen sie sich alles abschauen: Was machen die? Wie verhalten die sich? Da sind für mich Interesse, etwas Demut und manchmal auch etwas Schüchternheit gefragt. Dennoch muss erkennbar sein, dass ein junger Spieler unbedingt vorankommen möchte. In all den Akademien gibt es so viele Angebote, dass ich manchmal denke, wir blockieren die Selbstständigkeit des Einzelnen. Unser Angebot an Personal und der ganzen Umgebungsstruktur kann natürlich dazu führen, dass dem Spieler zu viel abgenommen wird. Da brauchst du die richtigen Leute, die den Jungs immer wieder aufzeigen, wie die Wirklichkeit aussieht und schlussendlich nicht der große Schrecken kommt, wenn diese „Blase Fußball" irgendwann mal platzt.
Übrigens habe ich auch bei Arsène Wenger das Fußballtraining-Magazin häufig auf dem Schreibtisch gesehen.
Sie haben in ihrer Karriere viele Spieler kennengelernt. Gibt es einen Spielertyp, der hinsichtlich seiner Technik, seiner Fußball-Intelligenz und seines Auftretens der typische Arsenal-Spieler ist?
PM: Das glaube ich nicht. Wir wollen auch weg von diesem Image des typischen Arsenal-Spielers – der technisch beschlagen ist und auf der Zehnerposition spielt. Spieler wie Robert Pires, Dennis Bergkamp – diejenigen, die sich im Mittelfeld aufhalten, technisch überzeugend, immer wieder den guten Pass sehend. Wir sagen stattdessen, dass wir eine Balance in unserem Spiel brauchen. Also das, was uns bei unserer ersten Mannschaft zugegebenermaßen manchmal gefehlt hat und auch derzeit fehlt. Arsenal steht für schönen Offensivfußball. Aber in den letzten zehn Jahren konnten wir nie an den richtig großen Titel schnuppern. Wir fragen uns, warum das so ist und was wir als Akademie dazu beitragen können, diese Balance etwa mittels eines guten Innenverteidigers und eines guten Sechsers, der viele Räume zustellt und Bälle gewinnt, zu fördern. Diese Spieler werden immer gefragter. Wir wollen natürlich dominant auftreten und immer wieder Zug zum Tor haben. Das sind für uns ganz wichtige Aspekte des Spiels. Aber wir wissen, dass wir dazu auch Spieler brauchen, die eine gewisse Kompaktheit herstellen und den Ball in bestimmten Zonen gewinnen können. Arsenal ist nicht nur der Spielertyp Dennis Bergkamp – auch, aber nicht nur.
Marcel Lucassen (ML): Die Offensivspieler können nur glänzen, wenn die Defensive gut steht. Ich spiele den Ball mal an euch von Fußballtraining zurück: Was und wer fällt euch zuerst ein, wenn ihr nach einem Arsenal-Spieler gefragt werdet?
Top 10 Arsenal-Players of all time!
Dass das Arsenal-Spiel schon immer viel mit Handlungsschnelligkeit und schnellem Umschaltspiel zu tun gehabt hat. Da denkt man direkt an einen Spieler wie Thiery Henry.
ML: Und das tun natürlich viele. Nur weiß niemand, ob Henry überhaupt auch bei Arsenal ausgebildet wurde. Und welche Spieler standen hinter ihm? Denkt mal an Per oder Jack Wilshere.
PM (lacht): Also, ich war nie der Prototyp des Arsenal-Spielers. Diese Frage stellt sich schnell: Ist das wirklich ein Arsenal-Spieler? Ist er technisch überragend, hat er Spielwitz, kann er den entscheidenden Pass spielen? Diese Aspekte sind schön und gut, doch damit allein gewinnen wir keine Titel. Unsere Herausforderung ist, genau das zu hinterfragen. Wir beschäftigen uns mit der Qualität der Trainerausbildung, der Qualität unserer Spieler: Wie ist der Status quo? Was können wir tun, um uns besser aufzustellen? Diese Analyse und Identifizierung war für Marcel und mich die Hauptaufgabe zu Beginn unserer Tätigkeit. Im Jugendbereich hinterfragst du dich pausenlos. Du versuchst, dich und das System immer wieder zu verbessern, und mit den hier geschaffenen Rahmenbedingungen, die natürlich spitze sind, müssen wir das auch tun. Da Arsenal in den vergangenen Jahren durch ein großes Wechselbad gegangen ist – der Trainer der Profis wurde ausgetauscht, ebenso der Akademie-Leiter und der Technische Direktor –, ist der Klub total im Umbruch und wir hier sind Teil davon. Da geht nicht alles von jetzt auf gleich zur Tagesordnung über.
ML: Und dann gibt es auch noch eine neue Vereinsführung.
PM: Richtig. Arsène Wenger, der mich damals eingestellt hat, ist nicht mehr da. Ich bin mir meiner großen Verantwortung bewusst und spüre die Unterstützung aller Beteiligten, die seine Nachfolger sind. Ich weiß um Arsènes großes Erbe, das ich angetreten habe, und mache diesen Job auch ein Stück weit für ihn, denn er hat diesen Verein zu einem Weltklub geformt. Jetzt ist die nächste Generation gefragt, diese Aufgabe und Verantwortung zu übernehmen. Und genau deswegen sprechen wir auch von einer Akademie, die zu den besten der Welt gehören soll. Das war der Anspruch von Arsène, als er den Klub vor 20 Jahren übernommen hat. Übrigens habe ich auch bei ihm das Fußballtraining-Magazin häufig auf dem Schreibtisch gesehen.
Die Bedingungen, die wir jetzt hier vorfinden, sind ihm zu verdanken. Ich persönlich bin aber nicht hier, um nur das Gesicht der Akademie zu sein. Natürlich ist das schön und einfach, da ich hier einige Zeit gespielt habe und Mannschaftskapitän war. Marcel und mir ist aber klar, dass wir Inhalte und Ergebnisse liefern müssen.
Wir wollen für das beste Ausbildungszentrum für Fußballer in der ganzen Welt stehen. Dazu haben wir einen Fünf-Jahres-Plan erstellt. Das ist im Jugendbereich ein kurzer Zeitraum. Früher lag mein Fokus darauf, nur für mich persönlich das Beste herauszuholen, und zwar Tag für Tag. Jetzt geht es darum, was das Beste für andere ist, und das langfristig. Eine Niederlage der U18 ist eben nicht das Wichtigste auf der Welt und wird nicht so ausgeschlachtet wie das Ergebnis der Profis. Das ist ein großer Unterschied, und eine Niederlage bringt die Spieler in ihrer Ausbildung ein Stück weiter.
ML: Als wir hier angefangen haben, war uns klar, dass der Weg nicht kurzfristig zu gehen ist. Wir brauchen Zeit, um unsere Ziele zu verwirklichen. Wenn du Tag für Tag nur auf das Ergebnis guckst, klappt das nicht – das kannst du vergessen. Wir mussten also das ganze System, den ganzen Prozess erstmal detailliert analysieren: Was ist gut? Und wie komme ich von gut zu besser? Und was ist nicht gut? Und wie kann ich das verbessern?
Ihr Ziel ist es, die weltbeste Akademie zu werden. Die Konkurrenz allein hier in London ist schon groß …
PM: Hier gibt es circa zehn große Vereine, die um Londons Talente buhlen. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass wir in einem riesigen Pool fischen. Der Name „Arsenal" allein reicht aber nicht mehr, um die Spieler von uns zu überzeugen. Es steckt schon etwas mehr dahinter und auch dafür investieren wir sehr viel Zeit. Hier wollen wir den Unterschied ausmachen und einfach das beste Programm für den Spieler darstellen. Uns ist bewusst, dass die Eltern uns ihre Kinder anvertrauen. Also geht es nicht mehr nur darum, dass unser Wappen so schön ist oder dass dem Kind die Farben Rot und Weiß gut stehen. Es geht schon in der Pre-Akademie mit dem ersten Scouting los. Und das darf ein Klub wie Arsenal nicht verpassen. Dafür müssen von der Sichtung über die Ansprache bis zur finalen Verpflichtung viele Rädchen ineinandergreifen. Diese Koordinierung ist eine schwere Aufgabe, und je besser die einzelnen Instanzen zusammenarbeiten, je klarer die Inhalte sind und je eindeutiger die Sprache ist, desto erfolgreicher können wir sein.
Dabei handeln verschiedene Personen und wir wollen alle als Vertreter von Arsenal ein einheitliches Bild abgeben. Und da wollen wir so gut wie es geht zusammenarbeiten und die besten Talente gewinnen. Dann haben wir die Möglichkeit, sie knapp zehn Jahre bei uns auszubilden und zu "strong young Gunners" zu machen.
Ein wichtiger Schlüssel dabei sind die Trainer. Da geht es euch auch um Experten für bestimmte Altersklassen und Trainer, die nicht schnellstmöglich aufsteigen wollen, sondern in ihrem Bereich bleiben. ‘Coach the coaches’ ist die Devise. Wie gehen Sie dabei vor?
PM: In Deutschland scheint es so zu sein, dass der Trainer der U23 immer auch eine große Chance hat, den Platz des scheidenden Trainers der Profis zu übernehmen. In England ist diese Durchlässigkeit nicht so gegeben. Erfolgreiche Jugendtrainer bleiben oftmals dort, wo sie sind. Und auch die Funktionäre der Profis schauen nicht zuerst, ob der U23-Trainer höher installiert werden kann. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass etwas mehr Geld da ist, das häufig dann auch in ausländische Trainer investiert wird. Englische Trainer haben nicht den Stellenwert oder das Vertrauen, wie es vielleicht in Deutschland der Fall ist. Den Jugendtrainern hier ist klar, dass sie in der Regel lange in ihrem Bereich bleiben und der kurzfristige Erfolg für sie nicht so wichtig ist. Wenn ich in Deutschland Meister der A- oder B-Jugend-Bundesliga werde, habe ich gute Chancen, bei den Profis installiert zu werden. Da schauen viele Leute drauf. Wir wollen natürlich auch gewinnen. Wir wollen auch in der Jugend Titel holen. Aber wir sind uns bewusst, dass die langfristige Entwicklung klar im Vordergrund steht.
ML: Wir haben im vergangenen Jahr analysiert, was für Trainer wir überhaupt hier bei uns haben. Was ist deren Kompetenz? Sind wir gut aufgestellt? Sind sie in ihrer Altersklasse richtig aufgehoben oder vielleicht besser ganz woanders? Dazu haben wir Situationen kreiert, in denen sie sich beweisen konnten. So gab es monatliche Meetings, in denen sie Prinzipien zu ihrer Altersklasse und zum Fußball allgemein präsentierten. In diesem Prozess hat sich herauskristallisiert, wo sich der Einzelne wohlfühlt und wo er seine Expertise hat, aber auch, wo noch Potenziale liegen. Für mich war interessant, welche Terminologie er nutzt und auch wie ausgeprägt sein Fachwissen ist und wie er es präsentiert – sowohl im Kinder- als auch im Jugend- und noch höheren Bereich. Zudem konnten wir uns mit dem Menschen an sich beschäftigen und uns klarer werden über seine Stärken und Schwächen. Der ganze Prozess war für uns Vorbereitung auf die aktuelle Saison. Wir wollten sehen, wie wir uns besser aufstellen können. Wir wollten identifizieren: Wie ist unsere Spielphilosophie, wie ist die Coaching-Methodik, aber auch, welche Personen können welche Alterstufe leiten?
Können Sie uns einen Einblick über die einzelnen Altersstufen geben?
ML: Wir haben eine stärkere Verbindung zur Pre-Akademie hergestellt. Wir wollten unbedingt Experten, die sich in ihrer Altersklasse auskennen. Dann geht es weiter, zum Übergang von der U11 zur U12: Die Kinder wechseln die Schulform und vieles verändert sich. Von der U12 bis zur U14 spielen die Hormone eine größere Rolle. Wir wechseln vom 9 gegen 9 zum 11 gegen 11 und befinden uns damit in einem komplett neuen System und der Trainer muss dann neue Entscheidungen treffen. Verträge werden bei uns bis zur U11 jedes Jahr für das jeweils nächste verlängert. Von der U12 bis zur U14 gibt es dann einen Zwei-Jahres-Vertrag. Und in der U14 müssen wir erneut eine Entscheidung für zwei Jahre treffen. Im Bereich U15/U16 gibt es ja auch einen „Lead Phase Coach".
Welches Aufgabengebiet übernimmt ein „Lead Phase Coach"?
ML: Er ist für einen Altersbereich verantwortlich, gleichzeitig aber auch Cheftrainer einer Mannschaft. Wir haben insgesamt vier installiert: Der erste steuert den Bereich der U9 bis zur U11, der zweite ist für die Spieler und Trainer der U12 bis zur U14 verantwortlich und der dritte arbeitet im Bereich der U15 und U16. Dann gibt es noch den „Lead Phase Coach" der U23, der auch für die U18 mitverantwortlich zeichnet und im Kontakt zu den Profis steht. Denn die brauchen zum Beispiel auch immer mal wieder Spieler im Training. Es gibt also einen ständigen Austausch untereinander. Sowohl unter den ‘Lead Phase Coaches’ als auch in den jeweiligen Altersklassen. Bei allen musst du dann analysieren, ob die Leidenschaft und das Herz für diese bestimmte Altersklasse vorhanden sind. Und dann ist es wichtig, sie zu begleiten und auch ihre persönlichen Ambitionen zu kennen. Wenn der U10-Trainer die Ambition hat, die 1. Mannschaft zu trainieren, dann kann das zu Problemen führen.
PM: Finanziell gesehen ist das natürlich schon ein Unterschied, ob du die U9 oder die U23 trainierst. Das ist das Hauptargument der Trainer gegen den Verbleib in einer Altersklasse. Wenn wir wirklich Spezialisten und Experten für diese Alterstufen haben wollen, dann müssen wir sie entsprechend wertschätzen. Auch diesbezüglich wollen wir uns in Zukunft hinterfragen, denn derzeit haben wir eine klare Staffelung der Altersstruktur und dem dazugehörigen Gehalt. Dieser Fakt reflektiert allerdings nicht unser Denken über die einzelnen Stufen und über die Gewichtung für uns. Das müssen wir selbstkritisch einräumen.
ML: Soweit ist der Fußball einfach noch nicht.
Ein Aspekt, der von jetzt auf gleich zu ändern wäre, wenn die Trainer jüngerer Altersstufen besser honoriert werden.
ML: Ganz klar. Aber ist uns auch wichtig, dass wir nicht nur die Spieler, sondern auch die Trainer weiterbilden und -entwickeln. Letztendlich findet jeder seinen Platz. Und genau da brauchen und wollen wir die besten Trainer für die jeweilige Altersklasse. Deshalb ist mir auch ein strukturierter Plan für die Trainerentwicklung wichtig. Und daran arbeiten wir: Intern die Trainer fortbilden und entwickeln, aber auch extern schauen, was der Markt bereithält.
Da ist die Hauptamtlichkeit von Trainern schon ein großer Vorteil.
PM: Richtig. Seit dieser Saison ist auch unser U9-Trainer in Vollzeit angestellt. So hat jede Mannschaft mindestens einen Trainer in Vollzeit. Das ist schon ein großer Luxus.
Trainer auf diesem Niveau benötigen Vertrauen und die Freiheit, Trainingsformen für ihre Mannschaft selbst auszuwählen …
ML: Auf jeden Fall. Und dieses Vertrauen haben wir. Das ist auch die Entwicklung, die wir hier durchmachen. Ein Beispiel: In dieser Woche lautet das Schwerpunktthema „Angriffspressing und Konterspiel". Dabei ist schon interessant, wie ich das in der jeweiligen Altersklasse von der U9 bis zur U16 trainiere. Darüber diskutieren die Trainer der einzelnen Bereiche zu Beginn jeder Woche miteinander und sind im Austausch. Da vertrauen wir ihnen. Aber sie bewegen sich schon in einer von uns vorgegebenen Struktur.
Marcel, was ist Ihnen beim ‘Angriffspressing und Konterspiel’ jeweils im Grundlagen-, Aufbau- und Leistungsbereich wichtig?
ML: Die Spielphilosophie ist immer die gleiche, genauso wie die Coachingmethodik. Aber wir müssen das der jeweiligen Altersklasse anpassen: Die jüngeren Teams arbeiten jeweils drei Wochen an einem Schwerpunkt, die älteren sechs. Die jüngeren kehren entsprechend schneller wieder zu einem Schwerpunkt zurück. Die Prinzipien bleiben immer gleich. Nur das Spielfeld ist bei ihnen etwas kleiner, denn wir wollen viele Torschussmöglichkeiten. Und dabei isolieren wir nicht, sondern haben direkt einen Gegenspieler dabei. Im nächsten Schritt kehren wir das Ganze dann um und schulen beispielsweise das Aufbauspiel. Da die Spieler durch die Trainingswochen zuvor jedoch bereits besser verteidigen, steigert sich automatisch die Trainingsqualität und wir können immer spezifischer arbeiten. So lernt jeder, was seine spezielle Aufgabe innerhalb der Mannschaft ist und wie sie auszuführen ist. Die Trainer bauen jede Trainingseinheit nach diesem Prinzip auf und der „Lead-Phase-Coach" unterstützt sie dabei.
Können Sie uns dazu ein Beispiel geben?
ML: In einem 6 gegen 3 liegt der Coachingschwerpunkt bei der Überzahlmannschaft auf dem Zusammenspiel. Die Aufgabe der Verteidiger, zu pressen und nach Ballgewinn möglichst schnell zu kontern und beispielsweise in ein Passtor zu spielen, ist aber stets gegeben. Wenn ich bei der gleichen Einheit zum nächsten Prinzip dann vornehmlich die Verteidiger in ihrem Konterspiel nach Ballgewinn coache, darf ich die Ballbesitzer ebenfalls nicht vernachlässigen. Wir haben also die gleiche Trainingsform, coachen aber ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Dabei dürfen wir das große Spiel nie vergessen. Das ist der Anspruch!
Quelle: Dieser Beitrag erschien in der Dezember-Ausgabe 2019 der Fachzeitschrift Fußballtraining. Das Interview führten Dennis Schunke und Marc Kuhlmann.