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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 4
Wie ein Schiedsrichter in der Kreis-
klasse einen erregten Trainer
entwaffnete“, beschreibt
Jürgen
Scharf.
Massenschlägereien, Beleidigun-
gen und Spielabbrüche - der Ama-
teur-Fußball geriet zuletzt arg in
Verruf. Der Bayerische Fußball-Ver-
band hat bereits Fair-Play-Kam-
pagnen gestartet und ausgebildete
Konflikt-Manager installiert. Wenn
Trainern, Spielern oder Zuschauern
trotz aller Mahnungen und Rat-
schläge dann doch wieder das
Temperament durchgeht, ist guter
Rat teuer. Dann braucht man Typen
wie Walter Schaffert aus Nitten-
dorf.
Schaffert ist 59 Jahre alt, und seit
33
Jahren als Schiedsrichter im
Fußball-Kreis Regensburg aktiv.
Über 1.900 Spiele“, erzählt er
stolz, hat er bereits gepfiffen. Der
Referee vom FC Viehhausen ist als
der Schaffert Walter“ quer durch
die Regensburger Ligen bekannt –
seit kurzem ist er noch bekannter.
Im Kreisklassen-Spiel zwischen
dem FC Mötzing und dem VfB
Regensburg hatte Christian Brüs-
sel, Fotograf der Mittelbayerischen
Zeitung, Mitte der zweiten Hälfte
auf den Auslöser gedrückt. Und
das, obwohl er keine Spielszene,
keinen Fußballer, ja nicht einmal
einen Ball vor der Linse hatte.
Brüssel hatte etwas viel Besseres
im Fokus. Es entstand ein Foto,
das seitdem im Internet mehrere
Zehntausend Mal angeklickt,
unzählige Male kommentiert
wurde - und einem der Beteiligten
exakt 562 SMS“ auf dem Handy
einbrachte.
Wie so oft im Fußball ging es
zunächst um ein paar Zentimeter.
Abseits oder nicht? Das war die
Frage. Schiedsrichter Schaffert ließ
das Spiel weiterlaufen. Melih Olu-
cak, Trainer des VfB Regensburg,
sah es anders. „Er hat ein paar Mal
reingeplärrt, dass es doch Abseits
und so war“, erzählt Schaffert.
Dann hab‘ ich ihm erst Mal zuge-
rufen, dass er ruhig sein soll.“ Olu-
cak gab aber nicht nach. „Es war
überhaupt nicht bös’, es waren
keine schlimmen Worte, aber er
hat halt nochmal angefangen“,
erzählt Schaffert.
Mit all’ der Erfahrung aus mehr als
1.900
Spielen reagiert der Schieds-
richter instinktiv. „Ich bin zu ihm
Dortmund gegen Bayern wurde
auch zu einem mitreißenden Spit-
zenspiel, weil Schiedsrichter
Manuel Gräfe eine Topleistung
zeigte. Er war eine Autorität auf
dem Platz, einige Spieler hatten
ihm zu danken, schreibt
Lars
Gartenschläger.
Es stand viel auf dem Spiel. Der
Druck war groß. Vielleicht sogar
etwas mehr auf Seiten der Dort-
munder. Denn nun, da sie gegen
die Bayern verloren haben, fragen
sich nach 13 Spieltagen nicht weni-
ge, ob bei sieben Punkten Rück-
stand, die der BVB auf die Münch-
ner hat, die Langeweile im Titel-
kampf programmiert ist.
Manuel Gräfe, der Schiedsrichter,
wusste um die Brisanz des Liga-
Gipfels. Und der 40 Jahre alte Ber-
liner hat seinen Teil dazu beigetra-
gen, dass dieser Gipfel den hohen
Ansprüchen vollends gerecht
wurde. Der Mann in Schwarz war
einer der Besten auf dem Platz.
Gräfe hat sich zwischen all’ den
Ballvirtuosen und Kämpfern
behauptet und einen nachhaltigen
Eindruck hinterlassen. Weil er sich
nicht wichtiger gemacht hat als er
ist und über die Profis gehoben
hat. Nein, Gräfe agierte souverän
und verlor nie die Kontrolle über
ein Spiel, in dem das Tempo hoch
war und die Gemüter nicht selten
erhitzt.
Gräfe hat das Spiel laufen lassen
und wirklich nur dann eingegriffen,
wenn es zwingend notwendig war.
Der Liebhaber italienischer und
französischer Küche gab dem Spiel
keine unnötige Würze. Gräfe hatte
ein gutes Auge für teils aggressiv
geführte Zweikämpfe. Und wenn
manch ein Beobachter sich bei
dem einen oder anderen Duell mal
einen Pfiff gewünscht hätte, weil
er glaubte, ein Foul gesehen zu
haben, ließ Gräfe das Spiel laufen.
Und die Zeitlupe, die er auf dem
Platz zwar nicht zur Verfügung hat,
bestätigte ihn in vielen Entschei-
dungen.
Der deutsche Schiedsrichter der
Saison 2010/2011 wirkte überzeu-
gend und agierte mit dem nötigen
Fingerspitzengefühl. Bestes Bei-
spiel dafür war der Disput zwi-
schen Mario Mandzukic und Kevin
Großkreutz kurz vor der Pause. Für
beide, die jeweils zu einem Kopf-
stoß angesetzt hatten, hätte es
Rot“ geben können. Doch Gräfe
beließ es bei einer Gelben Karte,
nahm sich die Spieler aber zur
Seite und machte ihnen klar, dass
sie beim nächsten Mal dann fällig
wären.
Der Liga-Gipfel war Werbung für
den deutschen Fußball – und Grä-
fes Leistung für dessen Zunft, die
oft in Verruf gerät und heftig kriti-
siert wird. Hin und wieder zu
Recht, weil nicht alle Schiedsrich-
ter immer Herr der Lage sind und
den Dialog mit den Spielern sowie
Trainern auf dem Platz nicht so gut
pflegen, wie es sein sollte.
Stattdessen spielen sie sich auf,
vergreifen sich im Ton und verlie-
ren auf dem Platz den Überblick.
Im Gegensatz zu Gräfe, der dann
auch in höchsten Tönen von sei-
nem Chef gelobt wurde. „Manuel
Gräfe ist eine unglaublich starke
Persönlichkeit. Er hat das Spiel mit
voller Überzeugung geleitet. Er hat
eine ruhige, aber souveräne Art
und war nie wankelmütig, sondern
ganz klar bei allen seinen Ent-
scheidungen. So etwas merken die
Spieler auf dem Platz“, sagte Her-
bert Fandel, der Vorsitzende des
DFB-Schiedsrichter-Ausschusses,
der „Welt“: „Und genau deshalb
hat er das Spiel auch geleitet.“
Dann hab ich
g‘sagt: pfeif‘ halt
selber!“
Lob für den
Mann in Schwarz
hin, und dann hab’ ich nur g’sagt:
pfeif’ halt selber – und hab ihm die
Pfeife hingehalten.“ Und dann war
es ruhig. Olucak kann über die
Szene herzhaft lachen. Fast reu-
mütig gibt er zu, dass er eben mit
Leib und Seele bei der Sache sei
und manchmal, dann breche es
eben aus ihm raus.
Als ihm Schaffert die Pfeife vor die
Nase hielt, sei er baff gewesen.
Und dann haben wir gleich
gelacht und uns umarmt, das war
einfach eine wunderbare Szene.“
Olucak will dem Schiedsrichter ein
riesen Kompliment“ machen:
Dass ich mich überhaupt so
beschwert habe, gehört sich nicht,
das ist klar. Der Walter Schaffert
hat aber nur klasse reagiert. So
etwas hilft doch viel mehr, als den
Trainer vom Gelände zu schicken.“
Schaffert habe genau dieses Fin-
gerspitzengefühl, das bei Schieds-
richtern so oft gefordert wird,
bewiesen. „Der Walter Schaffert ist
eben auch einer, mit dem du dich
schon vor oder nach dem Spiel mal
unterhältst. Dadurch lernt man
sich über die Jahre kennen. Ich
glaub’ auch, dass es nur dadurch
möglich ist, dass man so etwas
dann locker lösen kann.“
Olucak selbst hat auch viel Feed-
back erhalten. Sein Handy stand
nicht mehr still: „Es haben sich
auch alte Bekannte gemeldet, von
denen ich seit Jahren nichts
gehört hatte.“ Der so hochgelobte
Schaffert hat übrigens kein Erfolgs-
geheimnis. Das mit der Pfeife habe
er zum ersten Mal gemacht,
erzählt er. Ob es eine Wiederho-
lung gibt? Schaun mer mal…
Blick in die Presse