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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 4
Lehrwesen
Der Schiedsrichter muss vorausdenken“
Praktische Tipps zum Lehrbrief-
Thema „Notbremse“ gibt dieses
Mal Bundesliga-Schiedsrichter
Michael Weiner aus Ottenstein
(
Niedersachsen).
Herr Weiner, was muss ein
Schiedsrichter während des
Spiels beachten, um im ent-
scheidenden Moment eine „Not-
bremse“ tatsächlich zu erken-
nen und nicht zu „übersehen“?
Michael Weiner:
Man muss sich
immer wieder mit Videoszenen
zu klassischen „Notbremsen“
beschäftigen, um sich im Spiel
nicht überraschen zu lassen.
Denn auch schon „kleinere Ver-
gehen“ können neben der Spiel-
strafe zu „Rot“ führen, wenn
eine glasklare Torchance gege-
ben ist. Spielnähe und volle Kon-
zentration sind immens wichtig,
genauso wie ein „Vorausden-
ken“ während des laufenden
Spiels. Wenn zum Beispiel der
Angreifer gefolgt vom Verteidi-
ger aufs Tor läuft, muss man
sich bereits währenddessen die
Frage stellen: Wie wäre die Ent-
scheidung, wenn er jetzt durch
ein Foul am Weiterlaufen gehin-
dert würde? „Gelb“ oder „Rot“?
In welcher Form kann der Assis-
tent den Schiedsrichter bei der
Bewertung einer „Notbremse“-
Situation unterstützen?
Weiner:
Die Assistenten haben
durch ihre seitliche Position zum
jeweiligen Spielgeschehen eine
sehr gute Beurteilungsmöglichkeit
für die Frage: „Notbremse“ – ja
oder nein? Hat man kein Headset,
lässt sich die Zusammenarbeit
sehr gut durch unauffällige, aber
für den Schiedsrichter verständli-
che Zeichen organisieren. Dann
könnte ein Handzeichen auf die
Brusttasche „Gelb“ und auf die
Hose „Rot“ bedeuten.
Gibt es bei der Bewertung einer
Notbremse“ eigentlich auch einen
Ermessens- bzw. Toleranzbereich
für den Unparteiischen?
Weiner:
Der Schiedsrichter muss
sich bei seiner Entscheidung ein-
deutig an den Kriterien aus dem
Regeltext orientieren: Richtung
des Spiels, Möglichkeit der Ball-
kontrolle durch den Angreifer,
Distanz zum Tor oder die Position
und Anzahl verteidigender Spieler.
Wenn er in seiner Gesamtbewer-
tung dann zu dem Ergebnis
kommt, es handelt sich um eine
glasklare Tormöglichkeit“, muss
er zwingend einen Feldverweis
aussprechen.
Wie weit vom gegnerischen Tor
entfernt kann überhaupt ein Foul-
spiel stattfinden, bei dem es sich
um eine „Notbremse“ handelt?
Weiner:
Dazu gibt es keine Entfer-
nungsangaben. Natürlich ist es
schwer vorstellbar, dass ein Foul-
spiel direkt auf der Mittellinie den
Tatbestand der „Notbremse“ erfüllt.
Je näher sich das Vergehen zum
Strafraum oder zum Tor hin abspielt,
desto eher ist eine „Notbremse“-
Situation gegeben. Entscheidend
ist die Frage: Hätte der Stürmer in
den nächsten Sekunden ein Tor
erzielen können?
Wie schnell nach dem Pfiff sollte
der Schiedsrichter die Rote Karte
aus der Tasche ziehen, sodass
jeder Spieler und Zuschauer
erkennt, dass er den schuldigen
Spieler wegen einer „Notbremse“
vom Platz stellen will?
Weiner:
Wenn sich der Schiedsrich-
ter in seiner Wahrnehmung sicher
ist, kann eine schnelle Entschei-
dung getroffen werden. Ist man
sich nicht ganz sicher und wartet
auf den Input der Assistenten,
muss man zunächst die wahrge-
nommene Situation „einfrieren“
und darf sich nicht von der Posi-
tion von Verteidigern nach dem
Pfiff irritieren lassen. Denn einen
Sekundenbruchteil nach dem Foul
Bundesliga-Schiedsrichter
Michael Weiner.
kann sich der Standort der
anderen Verteidiger möglicher-
weise schon entscheidend ver-
ändert haben.
Angenommen ein Angreifer
bleibt im Ballbesitz, obwohl der
Verteidiger ihn in aussichtsrei-
cher Angriffs-Situation regel-
widrig attackiert. Wann ist statt
des Pfiffs und der Roten Karte
möglicherweise eine Vorteil-
Anwendung möglich?
Weiner:
Dazu muss sich der
Schiedsrichter sehr sicher sein,
dass auch tatsächlich ein Vorteil
eintritt. Hat man sich dazu ent-
schieden, und eine mögliche
Torerzielung tritt nicht ein, kann
allerdings im Nachhinein auch
keine Rote Karte mehr wegen
einer „Notbremse“ ausgespro-
chen werden. Dann ist nur noch
eine Persönliche Strafe analog
der Art und Schwere des Verge-
hens möglich.
Sechs Fragen an Michael Weiner
Bei einer Verhinderung eines Treffers durch ein absichtliches
Handspiel auf der Torlinie muss der Schiedsrichter ebenfalls
Rot“ zeigen.
Erklärungen didaktisch-methodi-
sche Wege auf, wie dieser schwie-
rige Lehrinhalt den Schiedsrich-
tern vermittelt werden kann.
Abgerundet wird der Lehrbrief mit
dem Hinweis auf zehn Spielszenen.
Diese wurden von Heinz Willems
herausgesucht und von Bernd
Domurat den Lehrwarten im Inter-
net zur Verfügung gestellt, sodass
die theoretisch erarbeiteten Grund-
lagen dann auch am Beispiel aktuel-
ler Spielsituationen nachvollzogen
werden können.
Die Verfasser der Lehrbriefe haben
sich in der aktuellen Ausgabe mit
dem Thema „Die ,Notbremse’ und
die dreifache Bestrafung“ befasst und
hierzu eine spannende Lehreinheit
sowohl für kleinere Lerngruppen als
auch für Lehrabende mit einer gro-
ßen Teilnehmerzahl entwickelt.
Sie verweisen auf wichtige Eck-
punkte in den Fußball-Regeln
2013/2014
beim Thema „Verhinde-
rung einer klaren Torchance“, brin-
gen ein konkretes Beispiel dazu aus
einer 1. Kreisklasse und zeigen
schließlich mit leicht verständlichen