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DFB-WISSENSCHAFTSKONGRESS 2013
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Leistungsgrenze, so dass jedenfalls nicht von Doping (im
Sinne von Betrug) gesprochen werden kann.
Rechtlicher Kontext
Die ethische Debatte um die Schmerzmitteleinahme im
Sport muss ferner berücksichtigen, dass nach Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts vom 11. August 1999 je-
der Mensch das Recht auf eine angemessene und effek-
tive Schmerztherapie hat.
Der damit einhergehende medizinische, ethische und
rechtliche Anspruch führt zur Notwendigkeit einer adä-
quaten Schmerztherapie bei akuten und chronischen
Schmerzen.
Es ist also die Pflicht jeden Arztes akute und/oder chro-
nische Schmerzen unabhängig von ihrer Manifestation
als Begleitsymptome von Krankheiten oder Verletzun-
gen oder als eigenständige Schmerzkrankheit auf der
Basis fachlicher Qualifikation nach den aktuellen Leit-
linien und unter Berücksichtigung der individuellen Per-
sönlichkeit des Erkrankten/Verletzten zu behandeln.
Angesichts dieser sehr hohen Verpflichtung für Ärzte,
Physiotherapeuten, Trainer, Betreuer, Funktionäre
u.a.m. wären ggf. bei Unterlassung rechtliche Konse-
quenzen nicht ausgeschlossen – Stichworte u.a. Arzt-
haftung, Körperverletzung, berufs- und sportrechtliche
Konsequenzen.
Standpunkte zum „richtigen“ Umgang mit der
Schmerzmittelproblematik im Sport
Ein Verbot von Schmerzmitteln ist aus ethischen
(
keine Leistungssteigerung im Sinne der Doping-Defi-
nition im World-Antidoping-Code) und rechtlichen
Gründen (Recht auf Schmerztherapie) sowie auf-
grund unzureichender Nachweisbarkeit (Nachweis
in Urinproben nicht bei allen Substanzen oder nur in
höheren Konzentrationen möglich) abzulehnen.
Ein Einsatz sollte aber nur bei entsprechender
Schmerzdiagnostik, Aufklärung, Monitoring und
Dokumentation, zeitlich begrenzt, immer ärztlich
verordnet (Dosierung, Applikationsform etc.) und
legitimiert sein.
Aufklärung und Intervention wären alternative
Strategien, scheinen aber nicht vielversprechend
(
siehe Doping).
Wenn eine Interventionsstrategie eingesetzt wird, soll-
te diese weniger rational geprägt sein (z.B. Erörterung
von Nebenwirkungen), sondern eher emotional an
soziale Bindungen anknüpfen, z.B. an die Akzeptanz
gemeinsamer Regeln (Medikamentenkultur) durch
Athleten, Trainer und Therapeuten appellieren.
Die Einnahme vor dem Wettkampf verhindert nicht das
Auftreten von Muskelkrämpfen während des Laufs und
danach!
Nur der Abbruch des Laufs wegen Muskelschmerzen war
etwas seltener!
Der Abbruch wegen Darmkrämpfen war dagegen häufiger.
Insgesamt waren Herz-Kreislaufprobleme, Magen-Darm-
Beschwerden und Nierenschäden 8 x häufiger nach
Schmerzmitteleinnahme zu konstatieren.
Darmkrämpfe und -blutungen kamen 7 x häufiger vor.
Herz-Kreislaufbeschwerden waren 5 x häufiger.
Blutiger Urin trat ausschließlich nach
Analgetika-/NSAID-Einnahme auf.
Mit Blick auf 4000 Marathonläufer beim Bonn-Marathon
waren 9 Krankenhausaufnahmen zu verzeichnen,
3
wegen temporären Nierenversagens (Ibuprofen),
4
wegen interventionspflichtiger Magendarmblutungen
(
ASS) und 2 aufgrund von Herzinfarkten (ASS).
Mangelhafte Diagnostik
In diesem Zusammenhang ist auch anzumerken, dass die
Schmerztherapie im Allgemeinen ohne umfassende
Schmerzdiagnostik erfolgt. Die Gesundheitsrisiken stei-
gen, wenn der Schmerzmitteleinnahme keine angemes-
sene Indikation vorausgeht – im Kontext der Lokalisa-
tion, Stärke und Intensität (VAS) eines Schmerzes, der
Beschreibung des Schmerzcharakters, einer individuel-
len Schmerzanamnese und Erfassung genauerer Sym-
ptome und ggf. Begleitsymptome.
Schmerzbekämpfung im Sport als ethische und rechtliche
Frage
Ethischer Kontext
Die spezielle Bedeutung des Schmerzes im Sport liegt
darin, dass dauerhafte Überbeanspruchungen ohne
ausreichende Regenerationsphasen zu Schmerzen und
hierin auch Leistungseinschränkungen führen. Im Trai-
ning oder Wettkampf mittels Medikamenten an und über
die Schmerzgrenze zu gehen, kann zu einem Leistungs-
zuwachs in einer solchen Situation führen, der nicht
unter die Bestimmungen des unerlaubten Dopings fällt.
Diese zurzeit diskutierte Regelung ist nach meiner Auf-
fassung ethisch korrekt – mit Blick auf folgende Defini-
tion der Differenz:
Doping bedeutet, über seine durch trainingswissenschaft-
liche Methoden erreichte physiologische Leistungsgrenze
hinaus einen Leistungszuwachs durch die Einnahme ver-
botener Mittel zu erreichen. Die Einnahme von Schmerz-
mitteln dient dagegen der Wiederherstellung oder des Er-
halts des Leistungsniveaus diesseits der physiologischen