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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 6 / 2 0 1 2
Titelthema
Die Kunst des Dialogs
Zu einer intelligenten Spielleitung gehört mehr, als nur die Vergehen wahrzunehmen und zu sank-
tionieren. Die Zauberformel heißt heutzutage „dialogorientierte Spielführung und Kommunika-
tion“. Was man darunter versteht, erläutern David Bittner und Günther Thielking.
D
er Begriff „Kommunikations-
Kompetenz“ steckte noch in
den Kinderschuhen, als Spieler wie
Uwe Seeler, Franz Beckenbauer
und Willi „Ente“ Lippens in den
60
er- und 70er-Jahren die Fuß-
ballszene in Deutschland prägten.
Dabei sorgte Lippens nicht nur mit
seiner Torgefährlichkeit für Furore.
Auch seine Schlagfertigkeit im
Umgang mit den Gegenspielern
und den Schiedsrichtern machte
immer wieder Schlagzeilen. So soll
sich folgender Dialog einmal wäh-
rend eines Regionalliga-Spiels bei
Westfalia Herne abgespielt haben:
Auf eine Verwarnung des Schieds-
richters und dessen Kommentar
Herr Lippens, ich verwarne Ihnen“
habe der Stürmer von Rot-Weiss
Essen mit der eher humorvoll
gedachten Antwort gekontert:
Herr Schiedsrichter, ich danke
Sie“ – und wurde prompt des Fel-
des verwiesen.
Mit einer ausreichenden Portion
Selbstironie ausgestattet, hätte
der Schiedsrichter statt der Roten
Karte sicherlich die passenden
Worte aus der Tasche gezaubert.
Denn wo der Unparteiische vor 40
Jahren noch vorrangig als Regel-
wächter gefordert war, muss er
heute als intelligenter Leiter agie-
ren und etwas von Spielerführung
verstehen. „Entscheidungen tref-
fen, Entscheidungen kommunizie-
ren, der Dialog mit den Spielern
auf dem Platz – das ist doch gerade
das, was einem als Schiedsrichter
Spaß machen sollte“, sagt Lutz
Michael Fröhlich. Der ehemalige
FIFA-Schiedsrichter hat Wirt-
schafts- und Gesellschafts-Kom-
munikation an der Universität der
Künste in Berlin studiert und ist
heute Abteilungsleiter Schieds-
richter beim DFB.
Fröhlich sieht neben der Qualität
der getroffenen Entscheidungen in
der „dialogorientierten Spielfüh-
rung“ den Schlüssel zum Erfolg für
einen guten Schiedsrichter. „Wenn
man als Schiedsrichter einem
Spieler zuhört, bringt man ihm
Respekt entgegen und legt damit
den Grundstein, dass man auch
Respekt empfängt“, erläutert er,
wie man durch einen partner-
schaftlichen Umgang Spannungs-
felder auf dem Platz abbauen
kann. Dazu gehört auch mal ein
positives Wort, zum Beispiel wenn
ein Spieler sich in einer Situation
besonders fair verhält. Dass der
kommunikative Typ von Schieds-
richter sich aktuell durchsetzt,
habe sich zuletzt bei der EM
gezeigt. „Schiedsrichter wie
Eriksson, Rizzoli, Proenca oder
Skomina punkteten dort nicht etwa
mit ihrer Strenge, sondern mit
ruhiger und sachlicher Kommuni-
kation“, hat Fröhlich beobachtet.
In welchen Situationen das
Gespräch mit den Spielern Sinn
macht, erklärt er an einem einfa-
chen Beispiel: „Wenn in einer Ver-
letzungspause die Mitspieler des
Gefoulten eine Verwarnung für den
Gegner fordern, hat man als
Schiedsrichter die Zeit, zu erklären,
wie man das Geschehen aus seiner
Sicht wahrgenommen hat und
warum man keine Karte gibt. Das
sollte eine klare, kurze, aber nicht
zu flapsige Erklärung sein, die die
Spieler verstehen.“ Bevor man
jedoch ins Gespräch mit dem Spie-
ler eintritt, muss man zunächst
einmal die persönliche Wahrneh-
mung der Situation in seinem Kopf
strukturieren. „Klarheit im Kopf ist
die Voraussetzung, um auch klar
kommunizieren zu können.“ Die
Kommunikation mit dem Spieler
solle auf Augenhöhe und ihm
zugewandt geschehen. Selbst
knifflige Entscheidungen würden
dann in aller Regel von den Spie-
lern akzeptiert. Denn diese wissen –
trotz ihrer eigenen Interessen –,
dass der Schiedsrichter am Ende
derjenige ist, der auch die Situa-
tionen in der Grauzone entschei-
den muss.
Damit die Kommunikation erfolg-
reich verlaufen kann, sollte der
Schiedsrichter während des Dia-
Der Schiedsrichter sollte klare Worte finden und diese in einem sachlichen Ton an den Spieler
kommunizieren.