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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 6 / 2 0 1 2
Regeln pauken statt Freibad
In Zeiten von Schiedsrichter-Mangel müssen die Verbände stets neue Wege zur Gewinnung von
Schiedsrichtern gehen. So haben im Kreis Nordharz in Niedersachsen 22 Jugendliche die Som-
merferien genutzt, um Schiedsrichter zu werden. Jens Goldmann stellt das Projekt „Ferienpass-
Lehrgang“ vor – auch als Anregung für andere Kreise.
Nachwuchs-Gewinnung
FIFA-Schiedsrichterin Riem Hussein erklärt Julian Kläfker, wie er die Rote Karte halten soll.
E
s ist brütend heiß an diesem
letzten Tag im Juli. Seit acht
Tagen sind in Niedersachsen Ferien,
und der Sommer hat Einzug gehal-
ten. Ein Mädchen und 21 Jungen
schwitzen im Sportheim des
FC Othfresen – und das nicht nur
wegen der gut 30 Grad Celsius.
Schüler, die bei solch einem Wetter
mit Sicherheit bei ihren Lehrern
hitzefrei“ eingefordert hätten und
ins kühle Nass der Freibäder
gesprungen wären, sitzen freiwillig
über den trockenen Fußballregeln –
aufmerksam und ohne sich zu
langweilen.
Die Referenten aus Schiedsrichter-
Ausschuss und -Lehrstab finden
trotz des Altersunterschieds offen-
bar den richtigen Ton. „Das ist ein
ungewöhnlich disziplinierter Lehr-
gang. Wir haben junge Leute gefun-
den, die aus eigenem Antrieb kom-
men und nicht, weil sie von ihrem
Verein geschickt wurden“, sagt
Joachim Ren, Vorsitzender des
Kreis-Schiedsrichter-Ausschusses
Nordharz, nach seinem Vortrag zur
Regel 13 („Der Freistoß“).
Das Projekt, das den Namen „Ferien-
pass-Lehrgang“ trägt, wurde von
Christian Biel ins Leben gerufen.
Biel ist nicht nur Fußballfunktionär
im Kreis Nordharz, sondern auch
Mitarbeiter in der Kreisverwaltung
in Goslar. Als er seine Idee einer
Schiedsrichter-Ausbildung in den
Sommerferien der Kreisjugend-
pflegerin einige Bürotüren von ihm
entfernt präsentierte, stieß er auf
offene Ohren. Mit Plakaten in
Schwimmbädern, Sportgeschäften
und Fitness-Studios warb man für
das Freizeitangebot, darüber hin-
aus auf klassischem Weg über
Printmedien und im Internet. Als
besonderes Bonbon und zugleich
als Zugpferd für die Aktion konnte
der Kreis die FIFA-Schiedsrichterin
Dr. Riem Hussein gewinnen, die aus
ihrem Alltag als Schiedsrichterin
erzählen und die theoretische Aus-
bildung durch Tipps für die Praxis
bereichern sollte. So wurden die
Interessenten nicht dadurch abge-
schreckt, dass schulisches Lernen
in den Ferien einfach durch andere
Lerninhalte ersetzt würde, sondern
der Lehrgang bekam auch einen
Hauch von Eventcharakter.
Die Folge war eine große Resonanz
auf das Angebot, berichtet Ideen-
geber Christian Biel stolz: „Schon
wenige Tage nachdem die Aktion
kommuniziert war, erreichten uns
immer mehr Anmeldungen. Weil
der Lehrgang aber in den Ferien
stattfand, mussten wir bei der Pla-
nung einige Punkte besonders
berücksichtigen.“ Niemand sollte
Teile des Lehrgangs verpassen,
weil vielleicht ein Urlaub bevor-
stand. Schulen fielen bei der Suche
nach einem Ausbildungsort aus
dem Raster, weil sie wegen der
Ferien geschlossen waren. Und als
Referenten mussten Schiedsrichter
gewonnen werden, die als Ruhe-
ständler auch tagsüber lehren und
nach Möglichkeit zudem als Fahrer
für die Schüler eingespannt wer-
den konnten.
Zu Lehrgangsbeginn erscheinen
schließlich 22 Fußball-Interessierte –
aus unterschiedlichen Beweggrün-
den: „Mein Vater hatte die Aktion
im Ferienpass der Stadt Langels-
heim gesehen und mich darauf
angesprochen, ob ich nicht teil-
nehmen wolle. Er meint, die
Schiedsrichterei könnte mein
Selbstbewusstsein stärken“,
berichtet der 15-jährige Timmy
Schreck davon, wie er auf das
Angebot aufmerksam wurde. Seine
Eindrücke vom Lehrgang sind posi-
tiv: „Ich schaue oft Fußball im
Fernsehen und kannte die meisten
Regeln schon. Aber dass das so
schwierig ist, einen direkten von
einem indirekten Freistoß zu
unterscheiden, das hätte ich nicht
gedacht.“ Das Schiedsrichter-Amt
sieht Timmy als eine Möglichkeit,
sein Taschengeld aufzubessern.
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