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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 5 / 2 0 1 2
Wie Wolfgang Stark
die EM erlebte
Als Wolfgang Stark mit seinem
Team nach dem 18-tägigen Auf-
enthalt in Polen die Heimreise
antrat, fiel das Fazit zufrieden-
stellend aus: Die deutschen
Schiedsrichter waren bei den
Spielen Polen gegen Russland und
Kroatien gegen Spanien zum Ein-
satz gekommen.
Beide Begegnungen zählten von
den Ansetzungen her zu den
schwierigsten Spielen. Das zeigt
das große Vertrauen der UEFA in
unser Team“, sagt Wolfgang Stark.
Er wurde bei den beiden EM-Ein-
sätzen unterstützt von seinen
Assistenten Mike Pickel und Jan-
Hendrik Salver sowie den zusätz-
lichen Assistenten neben den
Toren, Deniz Aytekin und Florian
Meyer.
Vor der Partie des Gastgebers
Polen gegen Russland war vor
allem die politische Brisanz groß
gewesen. Es gab in Warschau
schwere Ausschreitungen zwi-
schen beiden Fanlagern. „Wir
mussten bei der Anfahrt zum Sta-
dion kurzfristig die Route wech-
seln, weil in der Stadt so viel los
war“, berichtet Stark, der noch
pünktlich mit seinem Team im
Nationalstadion ankam. „Die
Atmosphäre im Stadion war ver-
gleichbar mit der bei einem Derby
zwischen Dortmund und Schalke“,
erinnert sich Wolfgang Stark an
einen „ungemeinen Druck auf alle
Beteiligten“. Dem hielten die deut-
schen Unparteiischen stand. Sie
legten eine perfekte Spielleitung
hin und bekamen danach Lob von
allen Seiten.
In der ARD brachte Experte Meh-
met Scholl vor zehn Millionen
Zuschauern die Sache auf den
Punkt: „Wolfgang Stark hat das
grandios gemacht.“ Zwei Gelbe
Karten musste der FIFA-Schieds-
richter auf beiden Seiten zeigen,
von der aggressiven Stimmung
vor dem Stadion war dank des
überzeugenden Auftretens des
Schiedsrichter-Teams nichts zu
spüren.
Wolfgang Stark schloss hier mit
seinen Kollegen nahtlos an seine
ausgezeichnete Leistung im Europa-
League-Endspiel zwischen Atletico
Madrid und Athletic Bilbao an.
Ums Weiterkommen ins Viertelfi-
nale ging es dann bei der Partie
Spanien gegen Kroatien in Danzig
im zweiten Einsatz der fünf deut-
schen Unparteiischen. Auch dieses
Spiel lief gut aus Schiedsrichter-
Sicht – wäre da nicht die Szene
in der 27. Minute gewesen, in der
die Kroaten einen Strafstoß for-
derten (siehe Text in der „Analy-
se“). „In unserem Team wurde die
Situation leider falsch wahrge-
nommen. Es ist natürlich ärger-
lich, wenn aufgrund einer einzi-
gen Entscheidung dann später die
ganze Spielleitung in Frage
gestellt wird“, sagt Stark, der aber
auch weiß, dass dies „zum Leben
des Schiedsrichters dazugehört“.
So zählte das Team Stark am Ende
der Vorrundenspiele zu denjeni-
gen „Mannschaften“, die die
Heimreise antreten mussten.
Dennoch war die Europameister-
schaft ein tolles Erlebnis für uns,
und wir werden gerne daran
zurückdenken. So ein Turnier ist
auch für Schiedsrichter immer
etwas Besonderes.“
Von fehlender Motivation für den
bevorstehenden Bundesliga-Alltag
gibt es bei Wolfgang Stark nach
dem Großereignis keine Spur: „Wir
haben die kurze Sommerpause
genutzt, um die Akkus wieder auf-
zuladen. Und jetzt ist die Freude
groß, dass es wieder losgeht.“
Zudem wirft die Weltmeister-
schaft 2014 bereits ihre Schatten
voraus: Ende September findet ein
erster FIFA-Vorbereitungs-Lehr-
gang in Zürich statt. Dorthin ist
Wolfgang Stark gemeinsam mit
Dr. Felix Brych eingeladen. Beide
gehören zur engeren Auswahl der
möglichen WM-Schiedsrichter.
Es gilt also, in den bevorstehen-
den Spielen der WM-Qualifikation
erneut Topleistungen abzuliefern,
um auch beim nächsten Groß-
ereignis in zwei Jahren wieder
dabei zu sein.
David Bittner
Zwei schwierige Spiele
Jeder konzentriert sich auf seine Weise: Das Team von Wolfgang Stark (Mitte) vor dem
Spiel Polen gegen Russland. Von links: Deniz Aytekin, Mike Pickel, Jan-Hendrik Salver,
Florian Meyer.
Immer mit der Ruhe!“ Wolfgang Stark und Iker Casillas,
Torwart und Kapitän der Spanier.