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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 2 / 2 0 1 2
Halbzeit-Tagung
tiziert. Er sprach in seinem ein-
stündigen Referat über:
Stressoren
Stressoren, die heute eine große
Rolle spielen, sind allgemein Über-
forderung, Zeitdruck und überhöhte
Leistungsanforderungen. Spezifi-
scher Stressfaktor bei Schiedsrich-
tern, insbesondere bei Bundesliga-
Schiedsrichtern, ist die Komple-
xität der Entscheidungen, die bei
hoher Spielgeschwindigkeit mit
hoher Präzision getroffen werden
müssen und vielfältige Auswirkun-
gen auf das Spiel selbst, die Spie-
ler, die Trainer und sogar den Ver-
ein haben können. Daraus
erwächst eine hohe Verantwor-
tung. Deren Tragweite wird durch
die ständige Beobachtung und
Bewertung der Schiedsrichter-
Leistung in der Öffentlichkeit und
in den Medien potenziert.“
Individuelle Stressverstärker
Beispiele hierfür sind ein Hang
zum Perfektionismus und zur
übermäßigen Kontrolle oder auch
eine Neigung zur Selbstüberforde-
rung. Hierfür könnte bei Schieds-
richtern eine gewisse Prädisposi-
tion bestehen, da sich durch ihre
nebenberufliche Tätigkeit eine
deutliche Mehrbelastung ergibt
und das Anforderungsprofil eines
Bundesliga-Schiedsrichters ohne-
hin schon ein hohes Maß an Leis-
tungs- und Verantwortungsbereit-
schaft erfordert.
Gerade bei den Entscheidungen im
Graubereich – wenn der Schieds-
richter nicht automatisch weiß,
wie er entscheiden soll – wird er
besonders gefordert. Auch die ver-
hältnismäßig geringe Anerken-
nung seiner besonderen Leistung
als Leistungssportler in der Öffent-
lichkeit kann zu einer Verstärkung
der Stressreaktion führen und ein
Burnout-Syndrom begünstigen.“
Stressbewältigung
Die Stressbewältigung kann an
verschiedenen Punkten ansetzen:
Zum einen ist es möglich, die indi-
viduellen Stressverstärker zu
modifizieren. Zum Beispiel kann es
helfen, perfektionistische und
überhöhte Ansprüche in Frage zu
stellen und zu reduzieren, eigene
Leistungsgrenzen zu akzeptieren
und sich von bestimmten alltäg-
lichen Anforderungen zu distanzie-
ren.
In diesem Zusammenhang ist das
Konzept der Selbstwirksamkeit
auch für Schiedsrichter sehr inter-
essant. Die Überzeugung, der
besonderen Aufgabe, Bundesliga-
Spiele zu leiten, gewachsen zu sein
und die dafür nötigen Kompeten-
zen zu besitzen, hat positive Aus-
wirkungen auf die Leistungsfähig-
keit eines Schiedsrichters. Wichtige
Säulen der Selbstwirksamkeit
sind neben der Regelkenntnis, den
strategischen Fähigkeiten, der
physischen und mentalen Fitness
vor allem auch psychologische
Fertigkeiten. Die ausgezeichnete
Ausbildung, die Bundesliga-
Schiedsrichter in Deutschland
genießen, hat hierbei einen beson-
deren Stellenwert.“
Depression
Eine Depression kann jeden tref-
fen, auch Schiedsrichter. Auch
heute noch bleiben Depressionen
zu einem viel zu hohen Prozent-
satz undiagnostiziert und unbe-
handelt. Gründe hierfür sind man-
gelndes Wissen, eine fortbestehende
Stigmatisierung psychischer
Erkrankungen in der Bevölkerung
sowie die Tatsache, dass sich
Depressionen häufig in körper-
lichen Symptomen verbergen.
Hauptsymptome einer depressiven
Episode sind eine gedrückte Stim-
mung, Interesselosigkeit und
Antriebsmangel. Treten diese
Symptome 14 Tage hintereinander
jeweils die überwiegende Zeit des
Tages auf, dann liegt nach den
aktuellen Kriterien eine Depression
vor. Aber auch schon im Vorfeld,
wenn diese Kriterien noch nicht
erfüllt sind, sollten Betroffene
offen mit ihrem Arzt darüber spre-
chen, um möglichst frühzeitig eine
spezifische Behandlung einleiten
zu können. Aktuell sind in Deutsch-
land etwa vier Millionen Menschen
von einer Depression betroffen.“
Dr. Marco Nill fand sehr inter-
essierte Zuhörer.
Eine Seite aus der Powerpoint-Präsentation von Dr. Nill.
Burnout
Obwohl das Burnout-Syndrom bis-
her keinen Eingang in die Klassifi-
kations-Systeme psychischer
Erkrankungen gefunden hat, ist es
mehr als eine Modediagnose. Es
bestehen zahlreiche Gemeinsam-
keiten mit dem Krankheitsbild
einer Depression. Wesentliche
Symptom-Komplexe sind emotio-
nale Erschöpfung, eine zunehmende
Ablehnung und ein Widerwille
gegenüber der ausgeübten Tätig-
keit mit einhergehender Abnahme
der Leistungsfähigkeit. Betroffene
sagen oft: ,Die Arbeit strengt nur
an.’
Oft stellt man fest, dass bei Betrof-
fenen zunächst eine hohe Begeis-
terung und Aufopferungs-Bereit-
schaft für ihre Tätigkeit bestehen.
Eben diese Eigenschaften jedoch
tragen letztlich dazu bei, dass sich
Betroffene in ihrer Tätigkeit aufrei-
ben, zunehmend frustriert sind
und letztlich nur noch mit Wider-
willen zur Arbeit gehen. Am Ende
sinkt vor dem Hintergrund ausblei-
bender Erfolgserlebnisse nicht nur
die Leistungsbereitschaft, sondern
auch die tatsächliche Leistungsfä-
higkeit, so dass Betroffene sich
ausgebrannt fühlen.
Neben persönlichen Faktoren, wie
Idealismus und Perfektionismus,
spielen auch gesellschaftliche Fak-
toren in der Verursachung eines
Burnout-Syndroms eine wesentli-
che Rolle. Gerade dann, wenn eine
Tätigkeit ein hohes Maß an Verant-
wortung und Idealismus erfordert,
gleichzeitig aber mit einer gerin-
gen Anerkennung und womöglich
einem schlechten Image in der
Öffentlichkeit verbunden ist, ist
das Risiko für die Entwicklung
eines Burnout-Syndroms gegeben.
Maßnahmen, um einer solchen Ent-
wicklung entgegenzuwirken, sind
beispielsweise eine klare Trennung
von Arbeit und Freizeit, das Einhal-
ten von Ruhephasen sowie ausglei-
chende und spannende Aktivitäten
im Alltag. Wer in seinen Körper
,
hineinhört’, kann rechtzeitig Belas-
tungen reduzieren und sich selbst
entschleunigen.“
Seinen Beitrag schloss Dr. Nill mit
einer Erkenntnis des deutschen
Dramatikers Bertolt Brecht: „Ich
rate, lieber mehr zu können als
man macht, als mehr zu machen
als man kann.“ Goldene Worte…