Fußball mit System: So findest du für jedes Spiel die passende Taktik!
Was heißt eigentlich Taktik?
Im Oxford-Wörterbuch wird Taktik gemeinhin als „im Hinblick auf Zweckmäßigkeit und Erfolg festgelegtes, planmäßiges Vorgehen oder Verhalten“ definiert. Demzufolge sind taktische Überlegungen pragmatischer Natur, werden als Plan vorgegeben und dienen in erster Linie dem Erfolg. Für den Fußball übersetzt könnte man also vereinfacht festhalten: „Wir geben eine Spielweise vor, die uns am Wochenende drei Punkte einbringt.“
Wie Matchpläne entstehen
Wenn es doch nur so einfach wäre, oder? Aber so ist das eben mit der Theorie. Was sich in Gedanken noch schön anhört, ist beim Übertrag aufs Papier schon schwieriger. Und wenn wir dann noch vom Papier auf den Platz müssen, bleiben von all unseren schönen Vorstellungen nur noch Bruchteile über.
Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich allerdings alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.
Sartre hat strukturell zwar nicht besonders viel mit Fußball zu tun gehabt, gilt aber nicht umsonst als einer der wichtigsten französischen Vordenker. Sein Zitat macht deutlich, weshalb Taktik eine besondere Disziplin in unserem Sport ist: Der Gegner hat auch eine - und hier beginnt der Teufelskreis.
Überlegungen bei der Matchplan-Erstellung
- Was weiß der Gegner über mich und mein Team?
- Wie könnte er dieses Wissen einsetzen und welche Konsequenzen hat das zur Folge?
- Was wissen wir über die Grundausrichtung des Gegners?
- Wo ist uns der Gegner überlegen und wo liegen potenzielle Schwachstellen?
- Welche Spieler stehen mir zur Verfügung?
Ihr seht: Den Gegner „mitzudenken“ ist eine heikle Angelegenheit und wird nicht ohne Grund von Hannes Wolf für den Jugendbereich als Fehlentwicklung bezeichnet. Für Seniorentrainer gehören diese Überlegungen jedoch zu den Kernaufgaben. Wägt nach Auswertung der Informationen über euren Gegner also als erstes ab, inwiefern ihr auf Leistungsebene konkurriert. Bewegt ihr euch auf Augenhöhe, seid gar Favorit, oder geht ihr als Underdog ins Rennen? Die Antwort auf diese Frage kann ein erster Indikator für die weitere Herangehensweise sein.
Von der Grundordnung zum System
Jeder Trainer hat eine präferierte Grundordnung. Allerdings ist diese im modernen Fußball eigentlich nur noch auf der Taktiktafel und beim Anstoß (zumindest solang es dafür noch keine eigene Taktik gibt) zu erkennen. Ein System entsteht nämlich dann, wenn aus dieser Grundordnung verschiedenste neue Formationen je nach Spielphase und -situation gebildet werden.
Die wohl beliebtesten Grundordnungen der vergangenen Jahrzehnte sind das 4-2-3-1 und das 4-3-3. Sie bieten aufgrund der Raumaufteilung die Möglichkeit, schnell und unkompliziert weitere Formationen abzuleiten. Diese Ableitungen basieren wiederum auf den Kenntnissen über den Gegner. Läuft er mit zwei Spitzen an, werden die beiden Innenverteidiger häufig von einem dritten Aufbauspieler ergänzt. Gegen einen einzelnen Anläufer, genügt der Zweier-Aufbau normalerweise. Diese Überlegungen ziehen sich durch bis in die letzte Linie und am Ende geht es vor allem um Eines: „Überzahl!“
Wo können wir potenzielle Überzahlsituationen schaffen und wie übertragen wir diese vom ersten bis ins letzte Drittel? Würden wir stur in einer Grundordnung wie dem 4-2-3-1 bleiben, bedeutet das im Umkehrschluss, dass unsere Spitze im letzten Drittel alleine gegen 3, 4 oder 5 Verteidiger klarkommen muss. Daher folgt natürlich die Überlegung: Wen nehmen wir wann mit nach vorne und wer sichert gegen den Konter ab?
Andersrum müssen wir uns die Frage stellen, aus welcher Struktur der Gegner aufbaut und wie wir bestmöglich Druck auf den Ball kriegen, ohne die torgefährliche Zone außer Acht zu lassen. Außerdem wichtig zu beantworten: Wollen wir nach innen oder nach außen lenken? Nehmen wir Gleichzahl auf der letzten Linie in Kauf, um vorne den Druck zu erhöhen? Bis wohin verfolgen wir einzelne Gegenspieler und ab wann übergeben wir, um die Ordnung zu halten? Aus den Antworten auf diese Fragen könnt ihr schließlich eure Defensiv-Formation ableiten.
Schließlich bleiben die Umschaltphasen als letzte Puzzlestücke (abgesehen von Standards) übrig, sind jedoch besonders schwierig zu planen. Unvorhersehbarkeit und Unordnung sind immerhin Hauptcharakteristika dieser Phasen, was sie bei einigen Trainern so beliebt macht. Habt ihr aber beim Gegner beispielsweise eine Asymmetrie erkannt, mit der eine bestimmte Seite überladen wird, so bietet sich diese Seite in der Regel auch gut als Durchbruchstelle für den Konter an. Und wenn ihr wisst, wo der Gegner euch Pressingfallen stellt, könnt ihr daraus ableiten, welche Passwege nach Ballverlust zuerst geschlossen werden müssen.
Nie läuft es wie geplant
Worst-Case: Stunden über Stunden sind in den Matchplan geflossen und die komplette Trainingswoche wurde darauf ausgelegt. Am Sonntag geht ihr kurz vor Anpfiff rüber zur gegnerischen Bank, klatscht ab und werft einen Blick auf die gegnerische Aufstellung. Statt der antizipierten Viererkette, stehen da plötzlich drei Innenverteidiger bereit und auch der Flügel ist nicht doppelt, sondern mit nur je einem Schienenspieler pro Seite besetzt. Was tun?
Signalisiert eurer Mannschaft, dass ihr die Herausforderung identifiziert habt. Als ersten Impuls könnt ihr dem Team die Order geben, zunächst mutig und mannorientiert zu verteidigen, bis ihr erste Anpassungen vornehmen könnt. Eine konservativere Lösung wäre, zunächst Überzahl in den kritischen Defensivbereichen herzustellen und dem Gegner dafür mehr Luft im Aufbau zu überlassen.
Fazit
Taktik ist ein breit bestelltes Feld, das jede Menge Spielraum für die Entfaltung einer Spielauffassung bietet. Doch gerade deshalb gibt es auch eine Vielzahl an Stolpersteinen und Möglichkeiten, sich die Finger zu verbrennen. Das Wichtigste ist daher, bei aller Tüftelei und Detailversessenheit, die eigenen Werte und Stärken niemals zu vergessen. Seid euch eurer Identität bewusst, vertraut eurer Mannschaft und bringt gemeinsam auf den Platz, was euch ausmacht. Losgelöst von jedweder Grundordnung lässt sich beispielsweise ein ballbesitzorientierter Stil genauso realisieren, wie einer, der auf Intensität und Umschaltmomenten basiert. Stellt also sicher, dass ihr gemeinsam mit eurer Mannschaft eine solche Identität entwickelt und in Form von Prinzipien festhaltet, die immer unabhängig vom Matchplan greifen und euren Spielern die Sicherheit geben, für jede Situation gewappnet zu sein.