Einwurftrainer Thomas Grønnemark im Interview
Der Einwurf als Angriffsmittel
Fußballtraining: Thomas, wie bist du dazu gekommen, Individualtrainer für Einwürfe zu werden – einem Bereich, dem bis dato kaum Beachtung geschenkt wurde.
Thomas Grønnemark: Ich war früher selber Fußballspieler, habe danach durch meine Zeit im dänischen Leichtathletik-Team und der dänischen Bobmannschaft aber auch andere Sportarten und Techniken kennengelernt. Ich wusste, dass ich besonders weit einwerfen kann und als ich 2010 dann mit 51,33 Metern auch den offiziellen Guiness-Weltrekord aufstellte, fragte ich mich: „Kann ich andere auch dazu bringen, so weit zu werfen?" Das war der erste Impuls und als ich dann feststellte, dass es noch keinerlei Literatur oder spezielles Coaching für diesen Bereich gibt, wollte ich diese Nische exklusiv besetzen und habe mich als Einwurfcoach selbstständig gemacht.
Wie schwer war der Einstieg in den Profifußball und wie war die Akzeptanz der Teams für deine Idee?
Der damalige dänische Erstligist Viborg FF war im Herbst 2004 meine erste Station im Profifußball. Da die Mannschaft sich im Bereich Einwürfe signifikant verbesserte und sogar unmittelbar daraus einige Tore erzielte, wuchs natürlich sofort die Akzeptanz und größere Clubs wurden auf mich aufmerksam. So wechselte ich zur Saison 2005/06 zum FC Midtiylland. Dies war der Beginn meiner Laufbahn als Einwurfcoach.
... die dich 2018 auch zu Jürgen Klopp nach Liverpool führte. Wie kam dieser Kontakt zustande?
Jürgen Klopp rief mich an und bat um Hilfe, da sein Team bis dahin nach fast jedem Einwurf den Ball verloren hatte. Nach nur 45,4 Prozent aller Einwürfe, bei denen der Empfänger unter Druck gesetzt wurde, blieb Liverpool in Ballbesitz. Wir konnten diesen Wert innerhalb von nur einer Saison auf 68,4 verbessern – ein Bestwert in der Premier League. In der folgenden Saison erzielte der FC Liverpool 14 Treffer aus solchen Standards – ein weiterer hervorragender Wert.
Wie gehst du in so einem Fall vor? Geht es in deinem Training hauptsächlich um die Verbesserung der Einwurflänge?
Grundsätzlich unterscheide ich zwischen drei Einwurfarten: Dem langen, dem schnellen und dem cleveren Einwurf. Viele denken, es ginge nur um die Verbesserung der langen Einwürfe, doch spielen die nur eine Teilrolle. Letztlich geht es um das Zusammenspiel zwischen Einwerfer und Ballempfänger.
Um dennoch kurz auf den langen Einwurf einzugehen: Wie viel weiter kann ein Spieler durch ein entsprechendes Training einwerfen und wo liegen die Grenzen?
Das ist natürlich von Spieler zu Spieler unterschiedlich und kommt auch auf physische Faktoren wie Körpergröße oder Schnellkraft in den Armen an. Aber mit der richtigen Technik kann man da einiges erreichen. Nehmen wir Liverpools Linksverteidiger Andrew Robertson als Beispiel: Als ich mit dem Training anfing, konnte er 19 Meter weit einwerfen – ein eher unterdurchschnittlicher Wert. Nach einiger Zeit lag er bei 27 Metern. Gerade für Außenverteidiger, die in der Regel sehr viele Einwürfe ausführen, ist ein großer Zielbereich wichtig, um als Mannschaft danach nicht sofort unter Druck zu geraten.
Drei Einwurfarten
- Langer Einwurf
Je weiter ein Spieler einwerfen kann, desto größer ist sein möglicher Zielbereich. Und ein großer Zielbereich erschwert es dem Gegner, den Einwurf einzuschätzen und Druck auf den Empfänger auszuüben. - Schneller Einwurf
Er kann vor allem im Konterspiel effektiv eingesetzt werden. Da es bei Einwürfen kein Abseits gibt, kann man damit gegen einen aufgerückten und noch unorganisierten Gegner schnell Torchancen herausspielen. Allerdings trainiere ich hierbei auch das schnelle Organisieren und Decken bei gegnerischen Einwürfen. - Cleverer Einwurf
Hier geht es um spezielle Taktiken und Abläufe, die je nach Spielfeldzone angewendet werden können. Ziel sind lediglich Routinen, die Sicherheit geben, und nicht komplett festgelegte Spielzüge, da die Kreativität der Spieler bei den Einwürfen immer im Vordergrund steht.
Erzähl uns etwas über deine Methodik. Wie trainiert man Einwürfe? Gehst du immer gleich vor oder ist das abhängig von der jeweiligen Mannschaft?
In meiner Philosophie gibt es vier Kernbereiche, mit denen ich arbeite. In der Anwendung sind sie jedoch immer an die Fähigkeiten der Spieler und die Taktik der jeweiligen Mannschaft angepasst. Das Training erfolgt hier stets in engem Austausch mit den Cheftrainern und variiert daher. Neben simpleren Übungsabläufen, die vor allem den präzisen Einwurf und das Freilaufverhalten schulen, arbeiten wir darüber hinaus in Spielformen auf engem Raum, bei denen es viele Ausbälle und somit viele Einwürfe gibt. Viele Trainer nutzen heutzutage bei diesen Spielformen nur noch ein Einschießen statt Einwerfen, was natürlich kontraproduktiv ist. Hier kann ich nur appellieren, den Einwurf aktiv und spielnah ins Training zu integrieren.
Du hast in deiner Laufbahn wahrscheinlich schon die verrücktesten Einwurftechniken gesehen. Wie sieht denn nun die optimale Handhaltung aus, um den Ball besonders weit und präzise zu werfen?
Der „Grip", wie ich ihn nenne, ist in der Tat sehr wichtig. Er muss für die richtige Mischung aus Kontrolle und Kraft sorgen. Man sollte den Ball mit beiden Händen packen und mit Daumen und der Handfläche eine Art „W“ bilden, wobei sich die Daumen nah aneinander befinden, aber nicht berühren dürfen. Mit dieser Fingerhaltung kann man dem Ball beim Abwurf eine kleine Rotation mitgeben, die ihn flach und präzise fliegen lässt. Viele Spieler neigen nämlich dazu, mit einer zu hohen Flugkurve einzuwerfen. Das gibt dem Gegner viel Zeit, um den Einwurfempfänger sofort unter Druck zu setzen.
Was sind weitere Fehler, die häufig zu Ballverlusten führen?
Oft liegt es einfach am falschen Timing der sich freilaufenden Spieler. Ein Einwurf ist eine statische Situation, bei der sich der Gegner zumeist in Überzahl befindet. Umso wichtiger ist es, dass sich die Mitspieler des Einwerfers durch abgestimmte Läufe Raum verschaffen, in dem sie ohne Druck angeworfen werden können. Häufig wird auf Brust oder Kopfhöhe gespielt – hier ist eine saubere Ballverarbeitung kaum möglich. Daher sollte der Ball immer in den Fuß geworfen werden. Außerdem fehlt vielen Spielern die Erfahrung, um zu entscheiden, wann ein Einwurf schnell ausgeführt werden sollte und wann nicht. Denn neben der schnellen Variante kann ein Einwurf auch dazu dienen, das Spiel zu beruhigen und den Ballbesitz zu sichern.
Du hast auch deine eigene Online-Plattform ins Leben gerufen, die sich komplett mit dem Einwurfthema beschäftigt. Welche Ziele verfolgst du langfristig damit?
Ich möchte, dass den Einwürfen flächendeckend mehr Beachtung geschenkt wird. Im Fußball kommt es heutzutage auf Nuancen an und jeder Verein versucht, in allen Bereichen einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Einwürfe können hierbei eine entscheidende Rolle spielen. Dafür müssen sie aber einen festen Platz im Trainingsalltag finden. Wer die ganze Woche keine einzige Einwurfsituation simuliert, wird im Spiel häufiger den Ball verlieren. Die resultierenden Fehler könnten allesamt durch ein regelmäßiges Training verhindert werden.
Den kompletten Beitrag zum Thema „Einwurf als Angriffsmittel" samt Trainingspraxis und Szenenanalysen findet ihr in Fußballtraining Ausgabe 9/20. Eine digitale Version des Heftes könnt ihr hier erwerben.