Die neuen Spielformen im Kinderfußball - das lang überfällige Geschenk für Trainerinnen und Trainer
Vom Platz an die Seitenlinie
Juni 2023: Nach mehreren frustrierenden Erfahrungen in der Kreisliga entschied ich mich, als Trainer neu anzufangen und den Kindern die positive Fußballerfahrung zu bieten, die ich selbst als Kind vermisst habe. Mein Ziel war es, den Kindern im Fußball die Möglichkeit zu geben, die ich selbst nicht hatte: eine ganzheitliche und positive Fußballerfahrung, die ihre Entwicklung als Spieler*innen und als Menschen fördert.
Selbst im Vorstadtverein angefangen Fußball zu spielen - in der E- oder D- Jugend - erfuhr ich als Kind das, was viele Kinder (leider) noch bis heute regelmäßig erfahren: den Platz auf der Bank, auf dem Ascheplatz unter dem Flutlicht, Dienstagabends um 18:00 Uhr beim Freundschaftsspiel gegen den Rivalen von nebenan. Ich erinnere mich nur wenig an diese Zeit. Jedoch daran, dass eines meiner einzigen Spiele gegen eine Mädchenmannschaft war. In der Liga konnte und durfte ich nicht spielen, sei es wegen meiner Unfähigkeit oder wegen meines Passes, der monatelang verschollen war.
Mit steigender Frustration auf der Bank sank schließlich die Leidenschaft auf dem Trainingsplatz. So früh ich mit dem Fußballspielen begann, hörte ich auch schon wieder auf – vielleicht nach 12-16 Monaten. Daraufhin begleitete mich der Sport zwar weiterhin als Fan und Enthusiast, aber nicht mehr als Spieler. Erst mit dem Unisport entwickelte ich die Leidenschaft für das Spielen wieder und begann danach auch im Dorfverein von nebenan zu spielen. Mehr mit Spaß als erfolgreich, aber darauf kam es nicht an.
Aufgrund eines Umzugs wechselte ich den Verein. Im neuen Verein angekommen, verließ mich immer mehr die Lust zu spielen. Ich frustrierte mich und andere mit meiner fehlenden Ausbildung. Einen Pass zu spielen gelang mir zwar, aber unter Gegnerdruck? Höchst spannend anzusehen. Nach einigen Monaten des Versuchens entschied ich mich, die Schuhe an den Nagel zu hängen. Was folgte, war eine E-Mail an den Vorstand: „Sucht ihr eigentlich auch Trainer?“.
Motivation und Ideale
Mit meinem Einstieg als Trainer war mir klar: Meine Erfahrungen im Kinderfußball möchte ich nicht an die Spieler*innen der nächsten Generation weitergeben. Mit den neuen Spielformen, die ich zu diesem Zeitpunkt 2023 noch gar nicht kannte, habe ich nun auch die Option hierzu: Kein Kind muss auf der Bank sitzen, alle Kinder dürfen spielen und alle Kinder dürfen Tore schießen – und tun dies auch! Ich bin froh über die nun uns offenstehende Option und frage mich wirklich jeden Tag, warum nur so wenige Gebrauch davon machen?
Laut DFB fördern die neuen Spielformen, die kleinere Teams und variierende Spielfeldgrößen beinhalten, das Spiel mit dem Ball am Fuß und das Erzielen von Toren. Statt dem traditionellen 7-gegen-7 gibt es jetzt auch Formate wie 5- gegen-5 und 3-gegen-3 im Funino-Stil. Diese Änderungen ermöglichen mehr Ballkontakte und intensivere Spielerfahrungen. Der große Vorteil: Die Ausbildung der Spieler*innen wird nachhaltig gesteigert, wie bereits in mehreren europäischen Nachbarstaaten, beispielsweise Österreich, vorgelebt. Hierbei ist das wichtigste Ziel der (längst überfälligen) Reform: „mit einer kindgerechten Art des Fußballs den Spaß am Spiel nachhaltig zu fördern“ (Deutscher Fußball-Bund, Kinderfußball: Die Regeln zu den neuen Spielformen, 23.08.2024).
Die neuen Spielformen bieten nicht nur Vorteile für die aufstrebenden Fußballspieler*innen, sondern auch für uns Trainer*innen. Wir kennen das folgende Gespräch sehr gut: Die Mutter von Maike schreibt uns bei WhatsApp an und fragt: „Können wir beim nächsten Training mal reden?“. Wir wissen, was kommt: Maike hat beim letzten Spiel erneut nicht gespielt (und sie wird es in Zukunft genauso wenig, denn der Tabellenplatz zählt!). Ihre Mutter möchte mit uns darüber sprechen: „Macht das Fußballspiel für Maike überhaupt noch Sinn?“. Die beste Antwort auf diese Frage haben wir nun auf dem Silbertablett serviert bekommen: „Ja, sie wird spielen, denn wir haben ab dem nächsten Spiel nun die neuen Spielformen im Kinderfußball – und hierbei können endlich alle Kinder spielen!“.
Die größten Schwächen der vergangenen Spielformen im Sieben-gegen-Sieben werden hierbei überwunden. Alle Spieler*innen haben die Möglichkeit, ins Spiel miteinbezogen und entsprechend ihrer Könnensstufe gefördert zu werden. Dabei ermöglichen uns die Mehrzahl an Spielfeldern, die Könnensstufen der Fußballerinnen anzupassen. So können auf Platz 1 die spielschwächeren Spieler*innen gegeneinander antreten und Erfolge sammeln, während die spielstärkeren auf Platz 3 ebenso gefordert werden. Kein Kind bleibt außen vor und muss zuhause auf dem Sofa auf die nächste Einheit im Fußballtraining am Dienstagabend warten oder auf der kalten, nassen Bank seinem Team beim Spielen zuschauen. Dies reduziert die in Deutschland altbekannt hohe Drop-Out-Quote, von der auch ich als Spieler im Kindesalter betroffen war. Hinzukommt, dass die Kinder durch die kleineren Spielformen auch mehr Erfolgserlebnisse, mehr Ballkontakte und mehr Motivation für das Spiel gewinnen.
Persönliche Erfahrungen
Diese Verbesserung wurde besonders deutlich in einer Situation, als ich die Freude einer Spielerin erlebte. In ihrem ersten Spiel im Drei-gegen-Drei erzielte sie ihr erstes Tor und umarmte ihren Vater, der zufällig in diesem Moment auch Spielfeldbegleiter des Drei-gegen- Drei war. Im nächsten Training erzählten sie mir von dieser Situation, und mir war klar: Auch diese Momente sind wertvoll und deutlich rarer, wenn wir uns weiterhin auf das Sieben-gegen-Sieben als Alleinspielform verstetigen.
Ich verstehe die Kritik von alteingesessenen Trainerkolleg*innen: „Ist das denn noch Wettkampf?“ Auch meine Kinder fragen mich: „Haben wir gewonnen?“. Aber ich bitte euch, lasst uns nicht auf die Tabelle schauen, sondern auf die Lichtblicke des Spiels: das Toreschießen, das Miteinander-Spielen, das Jubeln bei eigenen Toren und auch das Aufstehen nach dem Gegentor. Ich selbst freue mich auch, wenn wir offensichtlich überlegen sind. Ich kann die Gefühle verstehen. Aber ich sehe auch Folgendes:
Mit der nun beginnenden Saison, meiner zweiten als Trainer, habe ich mir vorgenommen, mich intensiver für die neuen Spielformen einzusetzen. Nicht (nur) aufgrund der Vorteile für die Ausbildung unserer Schutzbefohlenen im Kinder- und Jugendfußball, sondern vor allem, damit alle Kinder (auch die vom Rivalen von nebenan) den Sport begeisternd dort ausfüllen können, wo sie es am besten können: auf dem Rasen und nicht auf der Bank.
An einem Samstagvormittag im letzten Sommer testeten wir in einem Freundschaftsspiel die neuen Spielformen. Grundlegende Fragen für mich und meinen Mittrainer waren: Was sind die Vorteile, was die Nachteile und wie viel Aufwand ist notwendig? Wir ordneten die Spielerinnen zusammen mit dem Gegner auf drei Spielfelder: Platz 1 Funino, Platz 2 Vier-gegen-Vier ohne Torwart, Platz 3 Sieben-gegen-Sieben mit Torwart. Nach der dritten der 10- minütigen Halbzeiten entschieden wir uns zusammen mit dem gegnerischen Trainer, die leistungsschwächeren Spielerinnen auf dem Sieben-gegen-Sieben spielen zu lassen. Auf diesem Platz spielte auch die Tochter meines Mittrainers. Ungefähr nach der Hälfte der Spielzeit gewann sie den Ball und lief, leicht verstolpernd, auf das gegnerische Tor zu. Mit Sicherheit nicht technisch perfekt, schob sie den Ball mit der Picke ins Netz – ihr erstes Tor als Fußballerin. Mein Mittrainer sprang in die Luft, schrie und war voller Freude. Monatelange Zweifel fielen von seinen Schultern: „Ist es der richtige Sport für meine Tochter?“ Die Antwort: Ja, ist es, und wir sind in der Pflicht und in der Position, dies nachhaltig zu beeinflussen.
Die Reform der Spielformen ist entscheidend, um jedem Kind die gleiche Leidenschaft für den Fußball zu ermöglichen, die auch uns antreibt. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass alle Spieler*innen aktiv am Spiel teilhaben und ihre Fußballerfahrung voll auskosten können. Mit den neuen Spielformen haben wir die Möglichkeit, dies umzusetzen. Die zusätzlichen Ballkontakte und Spielzeiten in kleineren Formaten tragen zu einer qualitativ besseren Ausbildung bei, was für die Entwicklung unserer jungen Spielerinnen entscheidend ist. Und ganz nebenbei ermöglicht sie viele Vorteile für die zukünftige Generation und auch für uns Trainer*innen. Ich appelliere an meine Trainerkolleg*innen, auch über Vereinsgrenzen hinaus: Lasst uns nicht weiter in der Vergangenheit blind umhertrampeln und dabei die Hälfte unserer Spieler*innen Samstags zuhause auf dem Sofa allein lassen. Nominieren wir unser gesamtes Team, besetzen alle Plätze und lasst uns gemeinsam der Leidenschaft nachkommen, die uns alle verbindet: das Fußballspielen.