Die Macht des Momentums
Das Achtelfinal-Rückspiel zwischen Real Madrid und PSG
Santiago Bernabeu in Madrid: Das Hinspiel hatte Real in Paris zwar durch einen späten Treffer von Kylian Mbappé „nur“ mit 1:0 verloren, war über 90 Minuten jedoch klar unterlegen. Als eben jener Mbappé auch gestern in der 39. Minute die Führung erzielte, sah vieles danach aus, als würde Paris sich am Ende souverän durchsetzen und seine „Zwei-Gesichter-Existenz“ bestätigen: Während man in der heimischen Liga mangels Konkurrenz häufig eher fahrig und lustlos auftritt, zeigen sich Messi, Neymar und Co. im großen Rampenlicht der UEFA Champions League zumeist von ihrer besten Seite und wirken deutlich fokussierter. Real Madrid war zu diesem Zeitpunkt zwar nicht so chancenlos wie im Hinspiel, wirklich große Tormöglichkeiten konnte man sich jedoch nicht herausspielen. Stattdessen setzte Paris immer wieder gefährliche Konter und war deutlich näher dran am 2:0 - bis zur 61. Minute.
Torhüter Donnarumma bekam einen Rückpass von Innenverteidiger Kimpembe zugespielt, so wie es pro Spiel gefühl 30 Mal vorkommt. Diesmal jedoch mit weitreichenden Konsequenzen: Donnarumma wurde von Benzema so unter Druck gesetzt, dass sein verunglückter Pass quer durch den Strafraum zu Vinícius Júnior rollte, anschließend musste Benzema nur noch einschieben. Dieser Fehler des Torhüters von PSG sollte das restliche Spiel nun maßgeblich beeinflussen. Denn obwohl Paris in den ersten Minuten nach dem Gegentor versuchte, durch lange Ballbesitzphasen wieder Sicherheit und Kontrolle zu gewinnen, wurden die mentalen Auswirkungen des Treffers von Minute zu Minute deutlicher. Das Bernabeu wurde lauter, Madrid presste auf einmal intensiver und Paris wirkte plötzlich nervös und fehleranfällig.
Wenn das Momentum „kippt"
Alles schaukelte sich hoch bis zur 76. Minute, als Modric einen Steckpass auf Benzema spielte, dessen Schuss von Marquinhos unhaltbar ins Tor abgefälscht wurde. Spiel gedreht – und es kam noch schlimmer: Die Fernsehkameras zeigten noch die sechste Wiederholung des 2:1, da tauchte Benzema schon wieder im Strafraum auf und erzielte nach zwei haarsträubenden Pariser Fehlpässen das 3:1.
Doch durch den Sieg im Hinspiel war für Paris noch lange nicht alles verloren. Ein Tor hätte für die Verlängerung gereicht. Ein Sturmlauf in den letzten 15 Minuten war zu erwarten, doch weit gefehlt: Paris zeigte sich fortan völlig von der Rolle und kam an keinen Ball mehr heran, während Real Madrid sich förmlich in einen Rausch spielte. Reine Lethargie beim Blick in die Gesichter der Superstars Neymar und Messi.
Selbst der vorher so überragende Mbappé konnte keinen einzigen Akzent mehr setzen. Paris war nicht mehr im Stande, auch nur für eine kurze Zeit nochmal Druck aufzubauen. So blieb es beim 3:1 und Real qualifizierte sich für das Viertelfinale. Eine Szene, nur ein Fehler stellten das gesamte Spiel auf den Kopf. Auf dem Papier war es nur ein Tor, aber die Auswirkung auf das Momentum war riesig. Für jeden Trainer eine denkbar schlechte Situation - Kontrollverlust: Wie bekomme ich in solchen Momenten die Kontrolle zurück? Wie kann ich das Momentum brechen? Vor allem bei den Profis Auswärtsspielen, wo die gegnerischen Zuschauer den Effekt nochmal deutlich verstärken? Selbst die besten Fußballer der Welt scheinen gegen die Macht des Momentums ratlos und überfordert zu sein. Viele Trainer würden sich hier wohl die Möglichkeit einer Auszeit wie im Basketball wünschen. Doch die gibt es im Fußball nunmal nicht – und genau das macht letztlich auch seine Unberechenbarkeit aus und sorgt für solch spektakuläre Spiele.
Wie kann man als Trainer seine Mannschaft nun auf diese Momente vorbereiten und wie sollte man sein Coaching in solchen Situationen anpassen? PSG versuchte über lange Ballbesitzphasen die Kontrolle zurückzugewinnen und das Momentum zu brechen. Dafür haben sich Messi und Neymar besonders tief fallen lassen, um als zusätzliche Anspielstation im Mittelfeld zu agieren. Trainer Mauricio Pochettino forderte seine Mannschaft, stark gestikulierend, immer wieder zur Ruhe am Ball auf und reagierte auch taktisch, indem er mit Idrissa Gueye einen eher defensiv ausgerichteten Sechser für den spielstarken Leandro Paredes brachte. Das verstärkte die reaktive Rolle von Paris jedoch zusätzlich. Eine Alternative hierzu wäre eine direkte „offensive Reaktion“ nach dem Gegentreffer gewesen, geprägt von hohen Pressing und schnellen Torabschlüssen. Dem Gegner zu zeigen, dass man sich von einem Fehler nicht beeindrucken lässt und weiterhin unbeirrt auf Sieg spielt, kann dabei helfen, das Momentum zu kippen und Passivität zu vermeiden.