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S C H I E D S R I C H T E R - Z E I T U N G 1 / 2 0 1 4
Kießlings Kopfball fliegt ins Außennetz,...
Zufallsaufnahme:
Ein Fan hat in der
20.
Minute des
Freitagsspiels
(
Beginn 20.30 Uhr)
das gerissene Netz
fotografiert.
und rutscht dann ins Tor der Hoffenheimer.
findet das auf Foto 8a sicht-
bare „Doppel-Loch“…
Das kurze Gespräch zwischen
Schiedsrichter Felix Brych
und Stefan Kießling konnte
den Sachverhalt nicht klären.
Foto 8b
Foto 8c
Foto 8d
Foto 8e
E
in Netz besteht aus Löchern,
die von einemmehr oder weni-
ger dicken Faden begrenzt werden.
Bei einem Tornetz ist das nicht
anders, wobei die Hersteller natür-
lich darauf achten – und das auch
testen –, dass kein Ball durch so
ein Loch flutschen kann.
Das konnte er auch beim Spiel
1899
Hoffenheim gegen Bayer 04
Leverkusen (9. Spieltag)
nicht –
eigentlich. Da aber durch das Rei-
ßen einer Verbindung im Seitenteil
des Netzes aus zwei Löchern eins
geworden war
(
Foto 8a)
,
fand der
vom Leverkusener Stefan Kießling
wuchtig geköpfte Ball nicht genü-
gend Widerstand im Kunststoffge-
flecht. Die eigentlich normale Fest-
stellung aller Beteiligten: „Außen-
netz!“ – je nach Vereinszugehörig-
keit enttäuscht oder erleichtert –
konnte nicht getroffen werden.
Und so entstand die Situation,
dass ein Loch zu wenig im Tor-
netz – was paradox klingt, aber die
Wahrheit ist – eine weltweite Fuß-
ball-Diskussion auslöste.
Ein Loch zu wenig
Analyse – Der besondere Fall
In der 70. Minute sieht Schiedsrich-
ter Felix Brych, wie der Ball in spit-
zem Winkel am Torpfosten auf das
Tor der Hoffenheimer zufliegt und
anschließend im Netz liegt
(
Fotos
8
b bis d).
Der Zweifel, der ihn anflie-
gen könnte, wird durch das sich ihm
bietende Bild beseitigt, denn der
Ball befindet sich ja im Tor. Er bewegt
sich Richtung Anstoßpunkt. Verhal-
ten, aber dann doch stetig, wächst
der Jubel der Leverkusener. Von den
Hoffenheimern kommt kein Protest.
Felix Brych: „Niemand hat gesagt,
dass das kein Tor gewesen sei.“
Das konnte wohl auch niemand im
Stadion, denn es ging den
Zuschauern genauso wie Felix
Brych und Stefan Kießling. Die
Unwahrscheinlichkeit, dass sich
ein Riss im Außennetz eines
Bundesliga-Tores befindet, ist
schon sehr hoch. Noch höher ist
die Unwahrscheinlichkeit, dass
ausgerechnet durch dieses Loch
ein Kopfball – also nicht mal ein
harter Schuss – den Weg ins Netz
findet. Diese Erkenntnis ist auch
der Hauptgrund dafür, dass nie-
mand dem Schiedsrichter einen
wirklichen Vorwurf machen konnte
und wollte.
Zurück zur Situation: Am Mittel-
kreis sucht der Schiedsrichter den
Dialog mit dem Torschützen
(
Foto 8e).
Auch hier ergibt sich
keine Erkenntnis, die dem Bild „der
Ball lag im Tor“ widerspricht. Der
Zeitpunkt, die endgültige Entschei-
dung zu treffen, ist da; das Spiel
muss fortgesetzt werden. Der
Anstoßpfiff erfolgt: Als der Ball von
einem Hoffenheimer berührt wird,
ist die Situation für die Spiellei-
tung des Schiedsrichters unkorri-
gierbare Vergangenheit.
Mit seiner Entscheidung hat er
eine unumstößliche Tatsache
geschaffen. Die Regel 5 gibt ihm
das Recht dazu: „Die Entscheidun-
gen des Schiedsrichters zu spiel-
relevanten Tatsachen sind endgül-
tig. Dazu gehören auch das Ergeb-
nis des Spiels sowie die Entschei-
dung auf ,Tor‘ oder ,kein Tor‘.“ Das
DFB-Sportgericht unterstrich die-
sen Sachverhalt, indem es den
Protest von 1899 Hoffenheim
abwies.
Auch wenn das ungerecht klingt
und es wohl auch ist, darf man
eines nicht vergessen: Der Regel-
text sorgt für die Einheitlichkeit
des Fußballs, egal in welcher Spiel-
klasse. Das, was man durch die
Fernsehbilder im Profi-Fußball
erkennt, kommt für 99 Prozent
aller Fußballspiele nicht in Frage;
einfach weil dort keine Kameras
stehen.
Was bleibt für die Schiedsrichter
von der Bundesliga bis zur Kreis-
klasse als Erkenntnis aus diesem
besonderen Fall?
Sich auf Platzwarte (in der Bundes-
liga neuerdings „Greenkeeper“
genannt) und ihre Prüfmethoden
zu verlassen, ist Leichtsinn; bei der
eigenen Überprüfung der Netze
niemals in den Routine-Modus ver-
fallen; nicht nur schauen, ob
unten“ alles fest ist, vielleicht ist
oben“ etwas offen.
Und wenn doch einmal etwas wirk-
lich Ungewöhnliches passiert ist,
bitte so offen mit der Situation
umgehen, wie es Felix Brych getan
hat.
Foto 8a
Das Phantom-Tor von Hoffenheim hat die Gemüter
erregt.